Drei Männer im Schnee
nach dem Frühstück in den Bergen und kommt mit der Dämmerung zurück. Abends tanzt er mit den Damen aus Berlin, London und Paris. Er ist Junggeselle. Die Stammgäste würden ihn sehr vermissen. Er wird wohl Direktor bleiben.
Mindestens solange er tanzen kann. Und vorausgesetzt, daß er nicht heiratet.
Der Hotelbetrieb funktioniert trotzdem tadellos. Das liegt an Polter, dem ersten Portier. Er liebt das Grandhotel wie sein eigenes Kind.
Und was das Alter anlangt, könnte er tatsächlich der Vater sein. Er hat, außer dem tressenreichen Gehrock, einen weißen Schnurrbart, ausgebreitete Sprachkenntnisse und beachtliche Plattfüße. Sein hochentwickeltes Gerechtigkeitsgefühl hindert ihn daran, zwischen den Gästen und den Angestellten nennenswerte Unterschiede zu machen. Er ist zu beiden gleichermaßen streng. So liegen die Dinge.
– Nur die Liftboys werden des öfteren gewechselt. Das hat nichts mit ihrem Charakter zu tun, sondern lediglich damit, daß sie, beruflich gesehen, zu rasch altern. Vierzigjährige Liftboys machen einen ungehörigen Eindruck.
Zwei Dinge sind für ein Wintersporthotel geradezu unentbehrlich: der Schnee und die Berge. Ohne beides, ja sogar schon ohne eines von beiden, ist der Gedanke, ein Wintersporthotel sein zu wollen, absurd. Außer dem Schnee und den Bergen gehören, wenn auch weniger zwangsläufig, natürlich noch andere Gegenstände hierher.
Beispielsweise ein oder mehrere Gletscher. Ein zugefrorener und möglichst einsam gelegener Gebirgssee. Mehrere stille Waldkapellen. Hochgelegene, schwer zu erreichende Almhöfe mit Stallgeruch, Liegestühlen, Schankkonzession und lohnendem Rundblick. Schweigsame, verschneite Tannenwälder, in denen dem Spaziergänger Gelegenheit geboten wird, anläßlichherunterstürzender Äste zu erschrecken. Ein zu Eis erstarrter, an einen riesigen Kristallüster erinnernder Wasserfall. Ein anheimelndes, gut geheiztes Postamt unten im Ort. Und, wenn es sich machen läßt, eine Drahtseilbahn, die den Naturfreund bis über die Wolken hinaus auf einen strahlenden Gipfel befördert.
Dort oben verliert dann der Mensch, vor lauter Glück und Panorama, den letzten Rest von Verstand, bindet sich Bretter an die Schuhe und saust durch Harsch und Pulverschnee, über Eisbuckel und verwehte Weidenzäune hinweg, mit Sprüngen, Bögen, Kehren, Stürzen und Schußfahrten zu Tale.
Unten angekommen, gehen die einen ins Wintersporthotel zum Fünfuhrtee. Die anderen bringt man zum Arzt, der die gebrochenen Gliedmaßen eingipst und die Koffer der Patienten aus dem Hotel in seine sonnig gelegene Privatklinik bringen läßt. Erstens verdienen hierdurch die Ärzte ihren Unterhalt. Und zweitens werden Hotelzimmer für neueingetroffene Gäste frei. Natura non facit saltus.
Jene Touristen, die wohlbehalten ins Hotel zurückgekommen sind, bestellen Kaffee und Kuchen, lesen Zeitungen, schreiben Briefe, spielen Bridge und tanzen. All dies verrichten sie, ohne sich vorher umgekleidet zu haben. Sie tragen noch immer ihre blauen Norwegeranzüge, ihre Pullover, ihre Schals und die schweren, beschlagenen Stiefel. Wer gut angezogen ist, ist ein Kellner.
Tritt man abends, zur Essenszeit oder noch später, in das Hotel, so wird man sich zunächst überhaupt nicht auskennen. Die Gäste sind nicht mehr dieselben. Sie heißen nur noch genauso wie vorher. Die Herren paradieren in Fracks und Smokings. Die Damen schreiten und schweben in Abendkleidern aus Berlin, London und Paris, zeigen den offiziell zugelassenen Teil ihrer Reize und lächeln bestrickend. So mancher blonde Jüngling, den man droben am Martinskogel die Schneeschuhe Wachsein sah, stellt sich bei elektrischem Licht besehen als aufregend schönes, bewundernswert gekleidetes Fräulein heraus.
Dieser märchenhafte Wechsel zwischen Tag und Abend, zwischen Sport und Bai pare, zwischen schneidender Schneeluft und sanftem Parfüm ist das seltsamste Erlebnis, das die Wintersporthotels dem Gast gewähren. Die lange entbehrte Natur und die nicht lange zu entbehrende Zivilisation sind in Einklang gebracht. Es gibt Menschen, die das nicht mögen. Insofern handelt es sich um eine Frage des Geschmacks. Und es gibt Menschen, die es nicht können.
Das ist eine Geldfrage.
Im Grandhotel Bruckbeuren erwartete man den telefonisch angekündigten, geheimnisvollen Multimillionär. In wenigen Stunden würde er da sein. Herr Kühne, der Direktor, hatte eine Skipartie nach dem Stiefel-Joch abgesagt. Außerordentliche Umstände verlangen ungewöhnliche
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