Drei Männer im Schnee
Direktor. Das heißt: in Wirklichkeit war er kleiner. Aber hinter seiner Portiertheke befand sich ein Podest. Und vielleicht war Polter nur deswegen so streng. Vielleicht wäre er ohne Podest ein anderer Mensch geworden. (Das ist freilich nur eine Vermutung.)
»Die Stammgäste mußten informiert werden«, sagte er. »Da gibt’s gar keinen Streit. Erstens sinkt das Barometer, und wenn die Leute ein paar Tage nicht skifahren können, werden sie rammdösig. Der Millionär ist eine großartige Abwechslung. Zweitens sind nun Beschwerden unmöglich gemacht worden. Stellen Sie sich gefälligst vor, die Gäste würden den Mann hinausekeln, weil sie ihn für einen armen Teufel hielten! Er könnte unser Hotel glatt zugrunde richten.
Geld genug hat er ja.«
Karl der Kühne drehte sich um und ging ins Büro. Der Portier begrüßte jetzt den Skikursus für Fortgeschrittene. Sie waren mit dem Murner Alois vom Pichelstein nach St. Kilian abgefahren und hatten den letzten Autobus versäumt, weil die Marchesa di Fiori versehentlich gegen ein Wildgatter gesaust war. Es war zwar nichts passiert. Aber die Dame hatte auf freiem Felde einen Weinkrampf gekriegt. Und nun kamen sie alle, verfroren und müde, angestolpert.
Der Murner Alois zwinkerte zum Portier hinüber, und Onkel Polter nickte ein wenig. Sie waren sich einig: Diese Leute hatten eine einzige Entschuldigung. Sie waren reich.
Das sechste Kapitel - Zwei Mißverständnisse
Der Münchner Abendschnellzug hielt in Bruckbeuren. Zirka dreißig Personen stiegen aus und versanken, völlig überrascht, bis an die Knie in Neuschnee. Sie lachten. Aus dem Gepäckwagen wurden Schrankkoffer gekippt. Der Zug fuhr weiter.
Dienstleute, Hotelchauffeure und Hausburschen übernahmen das Gepäck und schleppten es auf den Bahnhofsplatz hinaus. Die Ankömmlinge stapften hinterher und kletterten vergnügt in die wartenden Autobusse und Pferdeschlitten.
Herr Johann Kesselhuth aus Berlin blickte besorgt zu einem ärmlich gekleideten älteren Mann hinüber, der einsam im tiefen Schnee stand und einen lädierten Spankorb trug.
»Wollen Sie ins Grandhotel?« fragte ein Chauffeur. Zögernd stieg Herr Kesselhuth in den Autobus. Hupen und Peitschen erklangen.
Dann lag der Bahnhofsplatz wieder leer.
Nur der arme Mann stand auf dem alten Fleck. Er blickte zum Himmel hinauf, lächelte kindlich den glitzernden Sternen zu, holte tief Atem, hob den Spankorb auf die linke Schulter und marschierte die Dorf Straße entlang. Es gab weder Fußsteig noch Fahrweg, es gab nichts als Schnee. Zunächst versuchte der arme Mann in den breiten glatten Reifenspuren der Autobusse zu laufen. Doch er rutschte aus. Dann steckte er den rechten Fuß in eine Schneewehe – vorsichtig, als steige er in ein womöglich zu heißes Bad – und stiefelte nun, zum Äußersten entschlossen, vorwärts. Hierbei pfiff er.
Die Straßenlaternen trugen hohe weiße Schneemützen. Die Gartenzäune waren zugeweht. Auf den verschneiten Dächern der niedrigen Gebirgshäuser lagen große Steine.
Herr Schulze glaubte die Berge zu spüren, die ringsum unsichtbar in der Dunkelheit lagen.
Er pfiff übrigens »Der Mai ist gekommen«.
Der Autobus bremste und stand still. Etliche Hausdiener bugsierten die Koffer vom Verdeck. Ein Liftboy öffnete einen Türflügel und salutierte. Die späten Gäste betraten das Hotel. Onkel Polter und der Direktor verbeugten sich und sagten: »Herzlich willkommen!« Die Halle war von Neugierigen erfüllt. Sie warteten auf das Abendessen und auf den Sonderling und boten einen festlichen Anblick.
Ein sächsisches Ehepaar, Chemnitzer Wirkwaren, und eine rassige Dame aus Polen wurden, da sie ihre Zimmer vorausbestellt hatten, sofort vom Empfangschef zum Fahrstuhl geleitet. Herr Johann Kesselhuth und ein junger Mann mit einem schäbigen Koffer und einem traurigen Herbstmäntelchen blieben übrig. Herr Kesselhuth wollte dem jungen Mann den Vortritt lassen. »Unter gar keinen Umständen«, sagte der junge Mann. »Ich habe Zeit.«
Herr Kesselhuth dankte und wandte sich dann an den Portier. »Ich möchte ein schönes sonniges Zimmer haben. Mit Bad und Balkon.«
Der Direktor meinte, die Auswahl sei nicht mehr allzu groß. Onkel Polter studierte den Hotelplan und glich einem leberkranken Strategen.
»Der Preis spielt keine Rolle«, erklärte Herr Kesselhuth. Dann wurde er rot.
Der Portier überhörte die Bemerkung. »Zimmer 31 ist noch frei. Es wird Ihnen bestimmt gefallen. Wollen Sie, bitte, das Anmeldeformular
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