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Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Titel: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Handvoll Geld. Die Nächte hindurch arbeitet er und schreibt, während seine Frau nebenan in den Wehen stöhnt, während die Epilepsie schon die Kralle spannt, ihm das Leben aus der Kehle zu pressen, während die Hausfrau mit der Polizei um ihre Miete droht und die Hebamme um ihre Bezahlung keift – schreibt er »Raskolnikow«, den »Idioten«, die »Dämonen«, den »Spieler«, diese monumentalen Werke des neunzehnten Jahrhunderts, diese universellen Gestaltungen unserer ganzen seelischen Welt. Die Arbeit ist seine Rettung und seine Qual. In ihr lebt er in Rußland, in der Heimat. In der Ruhe schmachtet er in Europa, in der Katorga. Immer tiefer stürzt er sich darum in seine Werke hinein. Sie sind das Elixier, das ihn trunken macht, sie sind das Spiel, das seine Nerven, die gepeinigten, zu höchster Lust anspannt. Und zwischendurch zählt er, wie einst die Pfähle des Zuchthauses, gierig die Tage: heimkehren können als Bettler, aber nur heimkehren! Rußland, Rußland, Rußland ist der ewige Schrei seiner Not. Aber noch darf er nicht zurück,noch muß er der Namenlose bleiben um des Werkes willen, der Märtyrer all dieser fremden Straßen, der einsame Dulder ohne Schrei und Klage. Noch muß er beim Gewürm des Lebens wohnen, ehe er aufsteigt in die große Herrlichkeit des ewigen Ruhms. Schon ist sein Körper ausgehöhlt von den Entbehrungen, immer häufiger schmettern die Keulenschläge der Krankheit auf sein Gehirn, daß er tagelang betäubt liegen bleibt, mit verdunkelten Sinnen, um sich mit erster Kraft taumelnd wieder an den Schreibtisch zu schleppen. Fünfzig Jahre ist Dostojewski alt: aber er hat die Qual von Jahrtausenden erlebt.
    Da sagt endlich, im letzten, drängendsten Augenblick sein Schicksal: es ist genug. Gott wendet Hiob wieder sein Antlitz zu: mit zweiundfünfzig Jahren darf Dostojewski wieder zurück nach Rußland. Seine Bücher haben für ihn geworben, Turgenjeff, Tolstoi sind verschattet. Rußland blickt nur mehr auf ihn. Das »Tagebuch eines Schriftstellers« macht ihn zum Herold seines Volkes, und mit letzter Kraft und höchster Kunst vollendet er sein Testament an die Zukunft der Nation: »Die Karamasow«. Und nun entschleiert sein Schicksal endgültig ihm den Sinn und schenkt dem Geprüften eine Sekunde höchsten Glücks, die ihm weisen soll, daß der Same seines Lebens in unendlicher Saat aufgegangen ist. Endlich ist in einem Augenblick Dostojewskis sein Triumph so zusammengedrängt wie einst seine Qual, einen Blitz schickt ihm sein Gott, aber diesmal nicht einen, der ihn niederschlägt, sondern einen, der ihn wie seine Propheten mit feurigem Wagen ins Ewige entrückt. Zum achtzigsten Geburtstag Puschkins sind die großen Dichter Rußlands entboten, die Festrede zu halten. Turgenjeff, der Westler, der Dichter, der ein Leben lang ihm den Ruhm usurpierte, hat den Vorrang und spricht unter lauer und freundlicher Zustimmung. Am nächsten Tag ist das Wort Dostojewski gegeben, und er faßt es in dämonischer Trunkenheit wie einen Donnerkeil. Mit Flammen der Ekstase, die aus seiner leisen, heiseren Stimme plötzlich wie ein Gewitter bricht, verkündet er die heilige Mission der russischen Allversöhnung, wie hingemäht stürzen die Zuhörer an seine Knie. Der Saal erbebt unter der Explosion des Jubels, Frauen küssen ihm die Hände, ein Studentbricht ohnmächtig vor ihm zusammen, alle anderen Redner verzichten auf das Wort. Ins Unendliche wächst die Begeisterung und feurig entbrennt die Glorie über dem Haupt mit der Dornenkrone.
    Dies wollte sein Schicksal noch: in einer glühenden Minute die Erfüllung seiner Mission, den Triumph des Werkes zeigen. Dann wirft es – die reine Frucht ist gerettet – die verdorrte Hülse seines Körpers hin. Am 10. Februar 1881 stirbt Dostojewski. Ein Schauer geht durch Rußland. Ein Augenblick wortloser Trauer. Aber dann flutet's heran, aus den fernsten Städten reisen gleichzeitig und doch ohne Vereinbarung Deputationen, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Aus allen Winkeln der tausendhäuserigen Stadt schäumt jetzt – zu spät! zu spät! – die ekstatische Liebe der Menge heran, alles will den Toten sehen, den sie ein Leben lang vergessen. Die Schmiedestraße, in der er auf gebahrt ist, braust schwarz von Menschen, finstere Massen schwemmen in schauerndem Schweigen die Stiegen des Arbeiterhauses empor und füllen die engen Räume bis hart an den Sarg. Nach ein paar Stunden ist der Blumenschmuck verschwunden, unter den man ihn gebettet, weil hundert Hände

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