Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski
und Schillers Don Carlos. Aus dem trüben Dunst dieser Tage ballen sich langsam eigene Formen, und endlich reift aus diesem vernebelten, traumhaften Zustand von Angst und Ekstase sein erstes dichterisches Werk, der kleine Roman »Arme Leute«.
1844, mit vierundzwanzig Jahren, hat er diese meisterhafte Menschenstudie geschrieben, »mit leidenschaftlicher Glut, ja fast unter Tränen«. Seine tiefste Demütigung, die Armut, hat es gezeugt, seine höchste Gewalt, die Liebe zum Leid, das unendliche Mitleiden es gesegnet. Mißtrauisch betrachtet er die beschriebenen Blätter. Er ahnt darin eine Frage an das Schicksal, die Entscheidung, und nur mühsam entschließt er sich, Nekrasoff, dem Dichter, das Manuskript zur Prüfung anzuvertrauen. Zwei Tage vergehen ohne Antwort. Einsam grüblerisch sitzt er nachts zu Hause, arbeitet, bis die Lampe verqualmt. Plötzlich um vier Uhr morgens wird heftig an der Klingel gerissen, und Dostojewski, dem erstaunt Öffnenden, stürzt Nekrasoff in die Arme, küßt ihn und jubelt ihm zu. Er und ein Freund hatten gemeinsam das Manuskript gelesen, die ganze Nacht gehorcht,gejubelt und geweint, und am Ende hielt es beide nicht: sie mußten ihn umarmen. Es ist Dostojewskis erste Lebenssekunde, diese Klingel nachts, die ihn zum Ruhm ruft. Bis in den hellen Morgen tauschen die Freunde Glück und Ekstase in heißen Worten. Dann eilt Nekrasoff zu Bjelinski, dem allmächtigen Kritiker Rußlands. »Ein neuer Gogol ist erstanden«, ruft er schon an der Türe, das Manuskript wie eine Fahne schwingend. »Bei euch wachsen die Gogols wie die Pilze«, brummt der Mißtrauische, durch so viel Begeisterung verärgert. Aber als Dostojewski ihn am nächsten Tag besucht, ist er verwandelt. »Ja, begreifen Sie denn selbst, was Sie da geschaffen haben«, schreit er voll Erregung den verwirrten jungen Menschen an. Grauen überfällt Dostojewski, ein süßer Schauer vor diesem neuen plötzlichen Ruhm. Wie im Traum geht er die Treppe hinab, an der Straßenecke bleibt er taumelnd stehen. Zum erstenmal fühlt er und wagt doch nicht, es zu glauben, daß all dies Dunkle und Gefährliche, das ihm das Herz auftrieb, ein Gewaltiges ist und vielleicht das »Große«, von dem seine Kindheit wirr geträumt, die Unsterblichkeit, das Leiden für die ganze Welt. Erhebung und Zerknirschung, Stolz und Demut schwanken wirr durch seine Brust, er weiß nicht, welcher Stimme er glauben soll. Trunken taumelt er über die Straße, und in seine Tränen mischen sich Glück und Schmerz.
So melodramatisch geschieht Dostojewskis Entdeckung zum Dichter. Auch hier ahmt die Form seines Lebens die seiner Werke geheimnisvoll nach. Hier wie dort haben die rohen Konturen etwas von der banalen Romantik eines Schauerromans. In Dostojewskis Leben ist oft der Ansatz Melodram, aber immer wird es zur Tragödie. Es ist ganz auf Spannung gestellt: in einzelne Sekunden, ohne Übergang, sind die Entscheidungen komprimiert, mit zehn oder zwanzig solcher Sekunden der Ekstase oder des Niedersturzes sein ganzes Schicksal fixiert. Epileptische Ausbrüche des Lebens – eine Sekunde Ekstase und ohnmächtiger Zusammenbruch – könnte man sie nennen. Jeder Aufschwung ist bezahlt durch Niedersturz, und diese eine Sekunde der Begnadung mit vielen hoffnungslosen Stunden des Robots und der Verzweiflung. Der Ruhm, dieser funkelnde Reif,den ihm Bjelinski in jener Stunde aufs Haupt drückt, ist auch gleichzeitig schon der erste Ring einer Fußkette, an der Dostojewski klirrend sein Leben lang die schwere Kugel der Arbeit schleppt. Die »Hellen Nächte«, sein erstes Buch, bleibt auch das letzte, das er als freier Mann einzig um der schöpferischen Freude willen schuf. Dichten besagt für ihn von nun ab auch: erwerben, zurückerstatten, denn jedes Werk, das er seither beginnt, ist vor der ersten Zeile schon mit Vorschuß verpfändet, das noch ungeborene Kind in die Sklaverei des Gewerbes verkauft. Für immer ist er jetzt in das Bagno der Literatur gemauert, ein Leben lang gellen die verzweifelten Schreie des Eingesperrten nach Freiheit, aber erst der Tod bricht seine Ketten. Noch ahnt der Beginner nicht die Qual in der ersten Lust. Ein paar Novellen sind rasch vollendet, und schon plant er einen neuen Roman.
Da hebt das Schicksal warnend den Finger. Er will nicht, sein wachsamer Dämon, daß ihm das Leben zu leicht werde. Und damit er es erkennen lerne in allen seinen Tiefen, sendet ihm der Gott, den er liebt, seine Prüfung.
Wieder wie damals in der Nacht gellt die
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