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Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Titel: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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der Einheit.
    So bleibt er Sisyphus, der ewige Wälzer des Steins zur Höhe der Erkenntnis, der er immer wieder entrollt. Der ewig Bemühte zu Gott, den er nie erreicht. Aber irre ich denn nicht: ist Dostojewski nicht den Menschen der großePrediger des Glaubens? Geht nicht durch seine Werke der große orgelnde Hymnus an Gott? Bezeugen nicht alle seine politischen, seine literarischen Schriften einhellig, diktatorisch, unzweifelhaft seine Notwendigkeit, seine Existenz, dekretieren sie denn nicht die Rechtgläubigkeit, verwerfen sie nicht den Atheismus als das äußerste Verbrechen? Aber man verwechsle hier nicht Wille mit Wahrheit, nicht den Glauben mit dem Postulat des Glaubens. Dostojewski, der Dichter der ewigen Umkehrung, dieser fleischgewordene Kontrast, predigt den Glauben als Notwendigkeit, predigt ihn um so inbrünstiger den anderen als – er selbst nicht glaubt (im Sinne eines ständigen, sicheren, ruhenden, vertrauenden Glaubens, der »geklärte Begeisterung« als höchste Pflicht formuliert). Von Sibirien schreibt er an eine Frau: »Ich will Ihnen von mir sagen, daß ich ein Kind dieser Zeit bin, ein Kind des Unglaubens und des Zweifels, und es ist wahrscheinlich, ja, ich weiß es bestimmt, daß ich es bis an mein Lebensende bleiben werde. Wie entsetzlich quälte mich und quält mich auch jetzt die Sehnsucht nach dem Glauben, die um so stärker ist, je mehr ich Gegenbeweise habe.« Nie hat er es klarer gesagt: er hat Sehnsucht nach dem Glauben aus Glaubenslosigkeit. Und hier ist eine jener erhabenen Umwertungen Dostojewskis: eben weil er nicht glaubt und die Qual dieses Unglaubens kennt, weil, nach seinem eigenen Worte, er die Qual immer nur für sich liebt und Mitleid hat mit den andern – darum predigt er den andern den Glauben an Gott, den er selbst nicht glaubt. Der Gottgequälte will eine gottselige Menschheit, der schmerzlich Glaubenslose die glücklich Gläubigen. An das Kreuz seines Unglaubens genagelt, predigt er dem Volke die Orthodoxie, er vergewaltigt seine Erkenntnis, weil er weiß, daß sie zerreißt und verbrennt, und predigt die Lüge, die Glück gibt, den strikten, textlichen Bauernglauben. Er, der »kein Senfkorn Glauben hat«, der gegen Gott revoltierte und, wie er selbst stolz sagte, »den Atheismus mit ähnlicher Kraft ausgedrückt hat, wie niemand in Europa«, er verlangt die Unterwürfigkeit unter das Popentum. Um die Menschen vor der Gottesqual zu behüten, die er wie keiner im eigenen Fleische erlebt, verkündet er die Gottesliebe. Denn er weiß: »Das Schwanken, die Unruhedes Glaubens – das ist für einen gewissenhaften Menschen eine solche Qual, daß es besser ist, sich zu erhängen.« Er selbst ist ihr nicht ausgewichen, als Märtyrer hat er den Zweifel auf sich genommen, aber der Menschheit, der unendlich geliebten, will er ihn ersparen. So schafft er, statt hochmütig die Wahrheit seines Wissens zu verkünden, die demütige Lüge eines Glaubens. Er verschiebt das religiöse Problem ins Nationale, dem er den Fanatismus des göttlichen gibt. Und wie sein getreuester Knecht antwortet er auf die Frage: »Glauben Sie an Gott?« in der aufrichtigsten Konfession seines Lebens: »Ich glaube an Rußland.«
    Denn das ist seine Flucht, seine Ausflucht, seine Rettung: Rußland. Hier ist sein Wort nicht mehr Zwiespalt, hier wird es Dogma. Gott hat ihm geschwiegen: so schafft er sich als Mittler zwischen sich und dem Gewissen selbst einen Christus, den neuen Verkünder einer neuen Menschheit, den russischen Christus. Aus der Wirklichkeit, aus der Zeit stürzt er sein ungeheures Glaubensbedürfnis einem Unbestimmten entgegen – denn nur einem Unbestimmten, einem Grenzenlosen kann dieser Maßlose sich ganz hingeben – in die ungeheuere Idee Rußland, in dieses Wort, das er anfüllt mit allem Unmaß seiner Gläubigkeit. Ein anderer Johannes, verkündigt er diesen neuen Christus, ohne ihn geschaut zu haben. Aber er spricht in seinem Namen, in Rußlands Namen für die Welt.
    Diese seine messianischen Schriften – es sind die politischen Aufsätze und manche Ausbrüche der Karamasow – sind dunkel. Verworren enttaucht ihnen dieses neue Christusantlitz, der neue Erlösungs- und Allversöhnungsgedanke, ein byzantinisches Antlitz mit harten Zügen, strengen Falten. Wie von den alten rauchgeschwärzten Ikonen starren fremde stechende Augen uns an, Inbrunst, unendliche Inbrunst in sich, aber auch Haß und Härte. Und furchtbar ist Dostojewski selbst, wenn er diese russische Erlösungsbotschaft

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