Drei Wunder zum Glück (German Edition)
verändert hatte. Denn laut ihrer Internetrecherchen lebte ROSANNA SCOTT nicht nur hier in San Francisco, sondern sie war obendrein aktives Mitglied einer ausgewählten Gruppe von Künstlern und Philanthropen. Und die veranstalteten tatsächlich am Sonntag, den 26. März um 19 Uhr eine Spendenaktion im historischen Ferry Building .
Das, so stand für Hazel außer Frage, war der Zeitpunkt, zu dem sie ihre Mutter kennenlernen würde. Es war, als sei diese Entscheidung bereits für sie getroffen worden. Und genauso klar und deutlich wusste Hazel, was sie anziehen würde.
Nicht, dass sie einen Schrank voller Möglichkeiten gehabt hätte. Hazel besaß ein einziges Kleid, und dazu war sie auch nur durch einen glücklichen Zufall gekommen. Sie hatte es vor über einem Jahr bei einem Secondhand-Basar einer schicken Privatschule entdeckt. Damals hatte sie bei einer Pflegefamilie in der Oak Street gewohnt, einem älteren Schweizer Ehepaar mit einem Bed&Breakfast für alternde Hippies. Auf dem Heimweg von ihrer langweiligen staatlichen Schule war Hazel an der Golden Gate High vorbeigekommen. Schon öfter hatte sie durch die Glasscheiben hineingesehen zu den modisch gekleideten Schülern, von denen praktisch jeder einen Laptop hatte und in teuer aussehenden Autos herumkutschiert wurde.
An einem Frühlingstag hatte sie den Basar der Schule bemerkt. Sie hatte gar nicht vorgehabt, etwas zu kaufen. Doch das Kleid hatte zu ihr gefunden, obwohl es unter einem Stoß kaputter Schuhe in der Wühlkiste gelegen hatte. Es war definitiv bunter als alles, was sie besaß (praktisch all ihre Klamotten waren schwarz), und sie war sich nicht einmal sicher, ob es ihr passte. Aber irgendetwas an diesem Kleid sagte ihr, dass sie es haben musste.
Also kaufte sie es, nahm es mit nach Hause, hängte es hinten in ihren Schrank und vergaß es prompt. Als Roy sie zurück nach San Rafael holte, hätte sie es beinahe dort hängen lassen, aber wieder sagte ihr etwas, dass sie das Kleid nicht vergessen durfte. Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals Gelegenheit zu haben, ein so ausgefallenes, schickes Kleid zu tragen. Es war ganz anders als alles, was Hazel sonst trug. Aber inzwischen bedeutete ihr das Kleid etwas. Und so warf sie es auf ihre fertiggepackte Reisetasche, nahm es mit zu Roy und fand einen neuen Schrank, in den sie es hängen konnte.
Als sie beschlossen hatte, zu Rosannas Veranstaltung zu gehen, holte sie das Kleid heraus und hängte es außen an die Schranktür, wo sie es sehen konnte. Denn jetzt wusste sie, es war mehr als ein Kleid. Es war ein Symbol.
So ziemlich alles in Hazels Leben war äußerlich gleich geblieben seit dem Tag, als sie den Namen ihrer leiblichen Mutter erfahren hatte: Sie ging zur Schule, sie ging zur Arbeit, sie ging Roy aus dem Weg, sie nahm den Bus. Aber innerlich hatte sich etwas Wichtiges verändert. Sie war anders. Und das Kleid war dabei das einzig Sichtbare. Es war eine Veränderung, die nur sie spüren konnte.
Das Kleid war wundervoll – kurz, aber nicht übertrieben, mit hellen, spiralförmigen Kreisen und einem wunderbaren Ausschnitt. Sie bekam eine richtige Gänsehaut, wenn sie es anprobierte – doch es war nicht perfekt. Hazel hatte zwar von dem Riss im Kleid gewusst, als sie es gekauft hatte; er war ja der Grund, warum es so billig war. Aber erst heute Morgen, dem Tag, da die Veranstaltung im Ferry Building stattfinden sollte, fiel Hazel ein, dass sie es noch nähen lassen musste. Schließlich wollte sie ihre Mutter nicht in einem kaputten Kleid kennenlernen.
Als sie die mit einer Sicherheitsnadel angesteckte Visitenkarte entdeckt hatte, nahm sie an, es sei einfach der Name des Designers: MARIPOSA OF THE MISSION. Doch als sie heute Morgen vor ihrem Schrank stand, sah sie genauer hin. Da stand unter der Adresse noch das Wort SCHNEIDERIN.
So landete sie am Nachmittag im Stadtteil Mission und stand in einem staubigen Laden, der nach Mottenkugeln roch, mit Nähmaschinen und Kleiderpuppen vollgestellt war und offensichtlich nicht geöffnet hatte, sondern …
»Geschlossen«, wiederholte das Mädchen auf dem Sofa. »Wir haben geschlossen, tut mir leid.«
Wobei es gar nicht so klang, als täte es ihr leid. Sie hörte sich eher verärgert an. Weshalb Hazel auch fand, dass ihr »komisches Gefühl« sie nicht getrogen hatte. Sie hatte vier Busse genommen, um hierherzukommen, und in ein paar Stunden würde sie den Menschen kennenlernen, den zu treffen sie sich ihr ganzes Leben gewünscht hatte. Sie besaß
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