Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
drückt, als wäre es ein Talisman, aus dem sie Kraft schöpfen kann.
Ich berichte, wie ich beim vergeblichen (und heimlichen) Forschen in unserer kleinen Wohnung auf ein altes Foto gestoßen bin, das mir offenbarte: Es gab noch andere Glieder von Isabelles Familie in Deutschland, nicht nur mich und meinen Vater, wo das Zeichen vielleicht zu finden war. (Ich verschweige ihnen, genau wie bei meinem letzten Besuch, dass mein Vater, der arbeitslose Koch, ein Hasser alles Jüdischen ist, dass er seine Wurzeln verleugnet hat und dass er sich außerdem meiner Suche verschloss – ich verschweige es, weil ich mich schäme deswegen.)
Ich erzähle, wie ich auf das Jiddische Theater im Scheunenviertel stieß, wie ich meine neuen Verwandten kennenlernte, mich in meinen Vetter Schlomo verliebte. Wie ich Theater zu spielen begann und wie wir ein Paar wurden, auf der Bühne und im Leben.
Während ich von all den Begebnissen erzähle, muss ich sehr viel von dem frischen Wasser trinken, weil mein Hals so schnell trocken wird. Das mit dem Abstand scheint mir zu helfen. Es ist, als würde ich berichten, was einer anderen Person zugestoßen ist, nicht mir. Es ist alles wie hinter Glas. Und es kommt mir klein vor, klein und übersichtlich, als würde ich mit einem umgedrehten Fernrohr daraufschauen.
Dann komme ich zu der Nacht, in der im Scheunenviertel der Mob tobte, die Juden aus ihren Häusern zerrte, sie beschimpfte und verhöhnte, plünderte und raubte, wegschleppte, was irgend von Wert war. (Dass wir uns in dieser Nacht, während draußen die Hölle tobte, das erste Mal liebten, Schlomo und ich, das erzähle ich nicht.)
Ich sehe, wie mich Isabelle mit geweiteten Augen anstarrt. Ihr Atem geht schwer.
»In Berlin!«, sagt sie schließlich leise. »In der Hochburg der Toleranz und des Verständnisses, wie sie sagen! Ein Pogrom in Berlin, im Jahre 1923. Es kommt alles noch schneller auf uns zu, als ich befürchtet habe.«
Ich trinke noch mehr Wasser. Ja, es kam alles schneller, als wir befürchtet hatten. Und schlimmer.
»Kannst du weitererzählen?«, fragt Gaston nach einer Pause. »Oder ist es zu viel für dich, Leonie?«
Fast hätte ich gelacht. Was soll daran zu viel sein, wenn ich es erzähle? Es sitzt doch hier drin, hinter meiner Stirn, egal ob ich davon spreche oder darüber schweige.
Zu viel war es, als es passierte.
»Ich kann sehr gut weitererzählen«, entgegne ich. Und füge hinzu: »Wenn ihr es hören könnt?«
Keine Antwort. So fahre ich fort. Berichte, wie ich auf den Gedanken kam, dass unser kleines Theater sich einmischen könnte in die Dinge der Wirklichkeit. Stellung beziehen nach dem, was da geschehen war. Dies alte Stück, »Bar Kochba« so spielen, dass sich unsere jüdischen Zuschauer darin wiederfanden, Kraft und Trost schöpfen konnten.
Berichte von den Randalierern in braunen Uniformen, die uns die Aufführung zerstörten. Vom Versuch, anderswo weiterzuspielen. Von den Drohungen gegen Schlomo, den Hauptdarsteller, mit der Absicht, dass er sich nicht mehr auf die Bühne wagen sollte.
Aber er ließ sich nicht einschüchtern.
»Und dann hat man ihn erschossen. Auf offener Straße. Vor meinen Augen«, schließe ich meine Erzählung.
Die beiden alten Leute starren mich an. Ich habe das Gefühl, dass sie nicht zu atmen wagen.
»Gütiger Himmel«, murmelt schließlich Gaston. »Was ist da auf dich eingestürmt in einem halben Jahr ... «
Ich fingere an meinem zerschnittenen Kragen. Antworte nichts, sehe vor mich hin. Was auf mich eingestürmt ist. Was soll ich sagen: Das Leben? Die Liebe? Der Tod?
»Aber das Taw?«, wirft Isabelle nun ein und hält den Buchstabenim Seidenstoff immer noch an ihre Brust gedrückt. »Wie hast du das Taw gefunden?«
Ich lächle und habe das Gefühl, dass mein Lächeln schrecklicher sein muss, als wenn ich weinen würde, denn sie sehen sich mit weit aufgerissenen Augen an, blicken dann wieder wie gebannt auf mich.
»Wir haben es im Theatermagazin gefunden, dort, wo Kostüme und Requisiten aufbewahrt werden. Schlomo hat es gefunden. Und dann, an dem Tag, diesem letzten Tag ... Es war immer von Feuer und Brennen die Rede in den Drohungen, die er bekam.« Ich muss schlucken. »In der Post war an dem Tag eine Warnung.« (Und auch dies verschweige ich, dass diese Warnung von meinem Vater kam, mit dem ich mich entzweit hatte wegen, ach, so furchtbarer Dinge ...) »Mein Freund, mein Liebster, er war schon losgezogen, um den Buchstaben aus dem Magazin zu holen, als ich die
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