Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Warnung las. Und dann brannte es auch ... «
Mein Herz schlägt auf einmal wie rasend. Ich fühle, ich bin zu dicht herangegangen. Da ist nichts mehr hinter Glas, da ist es bei mir angelangt, grell und laut und peinigend, und reißt mich fort.
Plötzlich verwirren sich die klaren, weit weggerückten Bilder, kommen näher heran, werden groß, werden laut, schlagen über mir zusammen. Ich verliere die Kontrolle.
Merke, dass ich nur noch stammeln kann: »Er kam auf mich zu – in der Menge – er hat gerufen – er hatte den ledernen Beutel mit dem Taw – er hat gesagt: Nimm mal! – er fiel um ... «
Dann wird mir schwarz vor Augen.
3
Ihr Kopf liegt in einem Schoß. Jemand anderes streicht ihr übers Haar. Etwas Kühles rieselt über ihre Stirn, die Schläfen herunter, verliert sich kitzelnd am Ohr. Sie schlägt die Augen auf.
Dicht über sich sieht sie das besorgte Gesicht Isabelles, die angstvoll-forschend gerunzelten Brauen, den fragend geöffneten Mund. Sie hat den Buchstaben aus der Hand gelegt und stattdessen aus ihren Armen ein Nest für das Mädchen gemacht! »Mein Liebes! Mein Liebes!«, murmelt sie, und wieder taucht Blick in Blick, wie vorhin. »Was ist dir zugemutet worden!«
Gaston ist auch da. Er fährt weiterhin sanft über ihr Haar und aus der hohlen Linken lässt er Tropfen für Tropfen Wasser über ihr Gesicht rinnen.
Sie richtet sich auf. »Verzeihung!«, sagt sie. »Ich ... ich bin wohl doch ein bisschen angestrengt von der Reise. Aber nun geht es schon wieder.«
Sie will aufstehen, aber ihr ist so taumelig, sie kommt gar nicht richtig auf die Beine, fällt wieder zurück. Und eh sie sich’s versieht, hat Isabelle ihren Kopf mit beiden Händen gepackt und drückt ihn an sich, an ihren Hals, ihre Schulter. Sie spürt den Puls der alten Frau an ihrer Wange, stark und gleichmäßig, und ihr fällt ein, wie sie auf Schlomo Laskarows Hals starrte während ihrer gemeinsamen Theatervorstellungen, in den Pausen, wenn er kurz von der Bühne ging, Wasser trank, so wie sie jetzt hier – da sah sie den Schlag seines Herzens in der Halsgrube ...
Nichts spüren, bitte. Nicht daran denken. Zurück hinter das schirmende Glas, Stein sein.
Über ihrem Kopf hört sie Isabelles leise Stimme: »Es ist unvorstellbar schrecklich, was dir zugestoßen ist! Aber ich habe nichtgewusst, in was ich dich da hineinschicke, als ich dich, versehen mit meinem Segen, auf die Suche aussandte nach Berlin, in deine Heimatstadt. Erst später kamen die ... Gesichte. Gaston hat dir ja geschrieben, hat versucht, dich zu warnen. Aber Warnungen ... die helfen meist nichts, nicht wahr?«
»Nein, die helfen überhaupt nichts«, erwidert Leonie müde. »Weil man sie natürlich falsch deutet. Wie ich es auch getan habe.«
Sie löst sich von der alten Frau, bringt Abstand zwischen sie beide, kniet nun vor ihr, auf Augenhöhe. »Aber auch wenn du es vorher gewusst hättest – du hättest mich doch trotzdem auf die Suche geschickt, nicht wahr?«
Isabelle weicht ihrem Blick nicht aus.
»Ja«, sagt sie. »Ich hätte dich trotzdem geschickt. Denn was ich tun muss ... «
»... duldet keinen Aufschub. Ich weiß doch. Den mächtigen Mann aus Lehm bauen, den Golem, ihn zum Leben erwecken, zum Schutz der Juden in aller Welt.«
Sie nickt. Ihre Augen sind erloschen.
»Ja. Verzeihst du mir?«
»Da ist nichts zu verzeihen. Es muss geschehen. Nach dem, was ich gesehen und erlebt habe. So schnell wie möglich. In jedem Jahr eines der drei Zeichen, nicht wahr?«
Sie wendet sich zu Gaston, streckt ihm die Hände hin. »Hilfst du mir auf?«
Sie lässt sich von ihm auf die Füße ziehen. Muss einen Moment die Augen schließen. Ihr ist immer noch ein bisschen taumelig.
»Ich würde vielleicht gern ein oder zwei Tage hierbleiben, bevor ich weiterreise nach Wien«, sagt sie freundlich. Sie lächelt mechanisch, ein Lächeln, das über den Mund nicht hinauskommt. »Darf ich jetzt erst einmal gehen und mich ein bisschen ausruhen? Diese Erinnerung war – einfach zu viel. Nein, mich muss keiner begleiten. Ich schaffe es allein.« –
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hat, sehen sich Gaston und Isabelle bedeutungsvoll an.
»Denkst du wohl auch, was ich denke?«, fragt die Frau leise.
Gaston seufzt. »Dies Mädchen ist krank. Krank an ihrer Seele und verletzt in ihrem Herzen. Sie wohnt in einer Leere.«
»Wie ausgebrannt!«, bestätigt Isabelle. »Als sie mir das Taw gegeben hat, da war – nichts. Von ihr ging keine Empfindung aus, sie
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