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Drucke Zu Lebzeiten

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Titel: Drucke Zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Kraft, genug für dich, zuviel
für dich! Wohl kenne ich deinen Freund. Er wäre ein Sohn nach
meinem Herzen. Darum hast du ihn auch betrogen die ganzen Jahre lang.
Warum sonst? Glaubst du, ich habe nicht um ihn geweint? Darum doch
sperrst du dich in dein Bureau, niemand soll stören, der Chef ist
beschäftigt – nur damit du deine falschen Briefchen nach
Rußland schreiben kannst. Aber den Vater muß
glücklicherweise niemand lehren, den Sohn zu durch- schauen. Wie
du jetzt geglaubt hast, du hättest ihn untergekriegt, so
untergekriegt, daß du dich mit dei- nem Hintern auf ihn setzen
kannst und er rührt sich nicht, da hat sich mein Herr Sohn zum
Heiraten ent- schlossen!"
      Georg sah zum Schreckbild seines
Vaters auf. Der Pe- tersburger Freund, den der Vater plötzlich so
gut kann- te, ergriff ihn, wie noch nie. Verloren im weiten
Rußland sah er ihn. An der Türe des leeren, ausgeraubten Ge-
schäftes sah er ihn. Zwischen den Trümmern der Regale, den
zerfetzten Waren, den fallenden Gasarmen stand er gerade noch. Warum
hatte er so weit wegfahren müssen!
       „Aber schau mich an!"
rief der Vater, und Georg lief, fast zerstreut, zum Bett, um alles zu
fassen, stockte aber in der Mitte des Weges.
       „Weil sie die Röcke
gehoben hat", fing der Vater zu flöten an, „weil sie die
Röcke so gehoben hat, die wider- liche Gans", und er hob, um das
darzustellen, sein Hemd so hoch, daß man auf seinem Oberschenkel
die Narbe aus seinen Kriegsjahren sah, „weil sie die Röcke
so und so und so gehoben hat, hast du dich an sie heran- gemacht, und
damit du an ihr ohne Störung dich befrie- digen kannst, hast du
unserer Mutter Andenken ge- schändet, den Freund verraten und
deinen Vater ins Bett gesteckt, damit er sich nicht rühren kann.
Aber kann er sich rühren oder nicht?"
       Und er stand vollkommen frei und warf die Beine. Er strahlte vor Einsicht.
       Georg stand in einem Winkel,
möglichst weit vom Vater. Vor einer langen Weile hatte er sich
fest entschlos- sen, alles vollkommen genau zu beobachten, damit er
nicht irgendwie auf Umwegen, von hinten her, von oben herab
überrascht werden könne. Jetzt erinnerte er sich wieder an
den längst vergessenen Entschluß und vergaß ihn, wie
man einen kurzen Faden durch ein Nadelöhr zieht.
       „Aber der Freund ist nun
doch nicht verraten!" rief der Vater, und sein hin- und herbewegter
Zeigefinger bekräftigte es. „Ich war sein Vertreter hier am
Ort."
      „Komödiant!" konnte sich
Georg zu rufen nicht ent- halten, erkannte sofort den Schaden und
biß, nur zu spät, – die Augen erstarrt – in
seine Zunge, daß er vor Schmerz einknickte.
      „Ja, freilich habe ich
Komödie gespielt! Komödie! Gutes Wort! Welcher andere Trost
blieb dem alten ver- witweten Vater? Sag – und für den
Augenblick der Ant- wort sei du noch mein lebender Sohn –, was
blieb mir übrig, in meinem Hinterzimmer, verfolgt vom ungetreu- en
Personal, alt bis in die Knochen? Und mein Sohn ging im Jubel durch die
Welt, schloß Geschäfte ab, die ich vorbereitet hatte,
überpurzelte sich vor Vergnügen und ging vor seinem Vater mit
dem verschlossenen Gesicht eines Ehrenmannes davon! Glaubst du, ich
hätte dich nicht geliebt, ich, von dem du ausgingst?"

  „Jetzt wird er sich vorbeugen", dachte Georg, „wenn er fiele und zerschmetterte!" Dieses Wort durchzischte seinen Kopf.
      Der Vater beugte sich vor, fiel aber nicht. Da Georg sich nicht näherte, wie er erwartet hatte, erhob er sich wieder.
      „Bleib, wo du bist, ich brauche dich nicht! Du denkst, du hast noch die Kraft, hierher zu kommen und hältst dich bloß zurück, weil du so willst. Daß du dich nicht irrst! Ich bin noch immer der viel Stärkere. Allein hätte ich vielleicht zurückweichen müssen, aber so hat mir die Mutter ihre Kraft abgegeben, mit deinem Freund habe ich mich herrlich verbunden, deine Kundschaft habe ich hier in der Tasche!"
       „Sogar im Hemd hat er Taschen!" sagte sich Georg und glaubte, er könne ihn mit dieser Bemerkung in der ganzen Welt unmöglich machen. Nur einen Augenblick dachte er das, denn immerfort vergaß er alles.
       „Häng dich nur in deine Braut ein und komm mir entgegen! Ich fege sie dir von der Seite weg, du weißt nicht wie!"
       Georg machte Grimassen, als glaube er das nicht. Der Vater nickte bloß, die Wahrheit dessen beteuernd, was er sagte, in Georgs Ecke hin.
       „Wie hast du mich doch heute unterhalten, als du kamst und fragtest, ob du deinem

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