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Dschiheads

Dschiheads

Titel: Dschiheads Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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plötzlich an, schob den Daumen unter den Schultergurt und musterte mich unter seinen buschigen grauweißen Brauen hervor, die wie zwei zerwühlte Schilfdächer großzügig seine Augen beschatteten. Dann öffnete er ein Fach in seinem Wägelchen und holte eine kleine Flasche aus Metall heraus. Er schraubte sie auf und setzte sie an die Lippen. Mit Behagen ließ er sich den Inhalt in die Kehle plätschern.
    Â»Willst du auch einen Schluck?«, fragte er, nachdem er getrunken hatte.
    Â»Was ist das?«
    Â»Wein.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Danke, nein.«
    Er nickte, setzte die Flasche erneut an die Lippen und ließ es plätschern.
    Ich betrachtete ihn von der Seite. Sein Haar stand wirr vom Kopf ab und sah aus wie verstaubte Wolle. Es hatte offenbar nie einen Kamm gesehen, genauso wenig wie sein Bart – der hatte irgendwann zu wachsen aufgehört und hing ihm wie angeklebte Fussel am Kinn. Aus seiner halblangen khakifarbenen Leinenhose ragten braungebrannte dünne, aber muskulöse Beine, gekräftigt von den täglichen Fußmärschen über das Floß. Seine Arme dagegen sahen zum Fürchten aus. An den Handgelenken ringelten sich die Adern, als wären blaue Würmer unter die Haut gekrochen und drängten sich nun schutzsuchend aneinander. Ich musste den Blick abwenden, und doch betrachtete ich sie immer wieder mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Seine mageren Schultern ragten aus dem ausgewaschenen Hemd wie die Arme eines Kleiderbügels.
    Â»Was glotzt du mich so an, Junge?«
    Â»Es ist das erste Mal, dass ich dich draußen ohne deine verspiegelte Jacke sehe.«
    Â»Aha. Und was siehst du?«
    Was sollte ich nur darauf sagen? »Dich.«
    Â»Du siehst einen alten Knacker.«
    Â»Knacker?«
    Â»Hörst du nicht, wie es in meinen Gelenken knackt, wenn wir über das Floß gehen?«
    Â»Wie alt bist du?«
    Er lachte und rümpfte die schmale Hakennase. »Ich habe keine Ahnung.«
    Â»Und wo bist du geboren?«
    Er kraulte seine Kopfwolle. »Auf einem Floß, nehme ich an. Ich wurde gezeugt auf einem Floß, kam auf die Welt auf einem Floß, wuchs auf auf einem Floß. Mein Vater und meine Mutter waren Floßfahrer seit Jahrzehnten. Und seither lebe ich auf Flößen. Ich kenne nichts anderes.«
    Â»Warum hast du die Jacke ausgezogen?«, fragte ich.
    Â»Du kannst deine Jacke auch ausziehen, Suk. Wir sind hier am südlichen Polarkreis, die Sonne steht sehr tief. Mit deinen astronomischen Kenntnissen scheint es nicht weit her zu sein.«
    Ich zuckte mit den Achseln. Ich hatte natürlich schon seit Tagen bemerkt, dass die Sonne nur zögernd aufging und – mal darüber, mal darunter – den Horizont entlangbummelte, ohne richtig an Höhe zu gewinnen. Das also war die Erklärung.
    Â»Euch hat man in der Schule wahrscheinlich nur frommen Quatsch beigebracht.«
    Â»Ja, eine ganze Menge.«
    Er nickte. »Schmeckst du die Luft?«
    Â»Was?« Wie schmeckt Luft?, fragte ich mich.
    Er schmatzte mit den Lippen. »Die Luft. Sie trägt mehr Feuchtigkeit. Sie schmeckt nach Meer.« Er schraubte erneut die Flasche auf und ließ sich großzügig Wein in den Mund rinnen, bevor er sie wieder in dem Geheimfach verschwinden ließ. »Die Nächte werden kühler. Sieh zum Himmel auf. Das Blau wird blasser, milchiger.«
    Â»Ja, stimmt.« Aber ich sah nicht zum Himmel – ich sah ihn an. Und plötzlich überkam mich Mitleid. Ich legte meinen Arm um seine mageren Schultern.
    Â»Was ist?«, fragte er.
    Â»Nichts.«
    Er sah mich an. »Du bist ein guter Junge, Suk.«
    Vielleicht täuschte ich mich, aber ich glaubte Tränen in seinen hellen blaugrauen Augen zu sehen.
    Am folgenden Tag erklärte Korbinian: »Wir sind fast im Delta. Wir müssen jetzt nach Steuerbord manövrieren, um den Memphis-Arm nicht zu verfehlen. Das ist der Mündungsarm, an dem Memphis liegt.«
    Â»Dachte ich mir schon, wenn er so heißt.«
    Â»Klugscheißer«, erwiderte er schmunzelnd.
    Â»Entschuldigung«, sagte ich.
    Â»An der Floßlände von Memphis machen wir fest. Da muss das Holz hin. Wenn wir in den Arm eingefahren sind, haben wir noch etwa achtzig Kilometer vor uns. Morgen müssten wir am Ziel sein.«
    Doch es kam anders.
    Wir fuhren zwar in den richtigen Mündungsarm ein, aber wir hatten noch nicht die Hälfte der Entfernung

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