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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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Er reist durch Tag und Nacht
    Hat jemand im vorigen Jahr am fünfzehnten Oktober Radio gehört? Hat jemand gehört, daß man nach einem verschwundenen Jungen forschte? So etwa sagten sie:
    »Die Polizei in Stockholm sucht den neunjährigen Bo Vilhelm Olsson, der seit vorgestern abend 18 Uhr aus der Wohnung Upplandsgatan 13 verschwunden ist. Bo Vilhelm Olsson hat helles Haar und blaue Augen und war mit kurzen braunen Hosen, einem grauen Pullover und einer kleinen roten Mütze bekleidet. Mitteilungen über den Verschwundenen nimmt jede Polizeidienststeile entgegen.«
    Ja, so sagten sie. Aber es kamen niemals irgendwelche Mitteilungen über Bo Vilhelm Olsson. Er war fort. Niemand erfuhr jemals, wo er geblieben ist. Keiner weiß es. Außer mir. Denn ich – ich bin Bo Vilhelm Olsson. Ich wünschte nur, daß ich zumindest Benka alles erzählen könnte. Mit Benka habe ich immer gespielt. Benka wohnt auch in der Upplandsgatan. Eigentlich heißt er Bengt, aber alle nennen ihn Benka. Und zu mir sagt natürlich niemand Bo Vilhelm. Sie sagen einfach Bosse. Ich meine, sie sagten Bosse. Jetzt, da ich verschwunden bin, können sie gar nichts mehr sagen. Nur Tante Edla und Onkel Sixten sagten Bo Vilhelm zu mir. Ja, eigentlich sagte Onkel Sixten gar nichts. Er sprach fast nie mit mir.
    Ich war Pflegekind bei Tante Edla und Onkel Sixten. Ich kam zu ihnen, als ich ein Jahr alt war. Vorher wohnte ich in einem Kinderheim. Von dort hat mich Tante Edla geholt. Sie wollte zwar lieber ein Mädchen haben, aber es war keines da. Deshalb nahm sie mich. Dabei mögen Onkel Sixten und Tante Edla Jungen nicht leiden. Schon gar nicht, wenn sie acht, neun Jahre alt werden. Sie fanden, ich brächte zuviel Unruhe ins Haus und ich trüge zuviel Schmutz hinein, wenn ich draußen im Tegnerpark gespielt hatte, ich schmisse meine Kleider herum, und ich redete und lachte zu laut. Tante Edla sagte immer, der Tag, an dem ich ins Haus gekommen bin, sei ein Unglückstag gewesen. Onkel Sixten sagte nichts. Doch, manchmal sagte er: »Du da, scher dich weg, damit ich dich nicht zu sehen brauche.«
    Meistens war ich bei Benka. Sein Vater sprach immer viel mit ihm, und er half ihm Modellflugzeuge bauen und machte Striche an der Küchentür, um zu sehen, wie Benka größer wurde, und all so etwas. Benka durfte lachen und sprechen und seine Kleider herumliegen lassen, soviel er wollte. Sein Vater hatte ihn trotzdem lieb. Und alle Jungen durften zu Benka nach Hause kommen und spielen. Zu mir durfte keiner kommen. Tante Edla sagte: »Hier wird nicht geschrien und getobt.« Und so dachte auch Onkel Sixten. »Der eine Lümmel, den wir haben, reicht uns«, sagte er.
    Wenn ich in meinem Bett lag, wünschte ich mir manchmal, Benkas Vater wäre auch mein Vater. Und dann grübelte ich, wer wohl mein richtiger Vater sein mochte und warum ich nicht bei ihm und bei meiner richtigen Mutter sein durfte, sondern zuerst in einem Kinderheim und danach bei Tante Edla und Onkel Sixten sein mußte. Tante Edla hatte mir gesagt, meine Mutter sei gestorben, als ich geboren wurde. Wer mein Vater sei, das wisse niemand. Aber man könne sich ja leicht ausrechnen, was das für ein Lump sei. Ich haßte Tante Edla, weil sie so von meinem Vater sprach. Vielleicht stimmte es, daß meine Mutter starb, als ich geboren wurde. Aber mein Vater war kein Lump, das wußte ich. Und manchmal lag ich da und weinte nach ihm. Ein Mensch war gut zu mir, das war Tante Lundin im Obstgeschäft. Hin und wieder schenkte sie mir Leckereien und Obst. Jetzt, hinterher, grüble ich, wer Tante Lundin eigentlich ist. Denn es war ja bei ihr, wo es anfing, damals im vorigen Jahr an dem Tag im Oktober. An diesem Tag hatte Tante Edla schon ein paarmal zu mir gesagt, es sei ein Unglück, daß ich ins Haus gekommen sei. Abends dann, kurz vor sechs Uhr, sagte sie zu mir, ich solle zur Bäckerei in der Drottninggatan laufen und ihr eine Tüte Zwieback holen, den sie so besonders gern mochte. Ich setzte meine rote Mütze auf und ging.
    Als ich am Obstladen vorbeikam, stand Tante Lundin in der Tür. Sie faßte mich beim Kinn und sah mich lange, lange ganz seltsam an. Endlich sagte sie: »Willst du einen Apfel haben?« »Ja, bitte«, sagte ich.
    Und sie gab mir einen schönen roten Apfel, der wunderbar aussah. Dann sagte sie:
    »Willst du eine Karte für mich in den Briefkasten werfen?«
    »Ja, gern«, sagte ich. Da schrieb sie einige Zeilen auf eine Karte und gab sie mir.
    »Leb wohl, Bo Vilhelm Olsson«, sagte Tante Lundin. »Leb

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