Dshamila
geratenen Dshigiten unerwartet zurecht.
Einer versuchte noch, sie zu umarmen.
„Laß das!" sagte sie und stieß ihn zurück.
Sie warf stolz den Kopf in den Nacken, sah flüchtig und schuldbewußt zu Danijar hinüber und lief in die Büsche, um ihr Kleid auszuwringen.
Ich wußte mir das Verhalten der beiden noch nicht recht zu erklären, und ich scheute mich, offen gestanden, auch davor, nach einer Erklärung zu suchen. Doch ich fand es sonderbar, daß Dshamila jetzt Danijar auswich, obwohl sie darunter litt. Es wäre besser gewesen, wenn sie wie früher über ihn gelacht und ihn gehänselt hätte. Gleichzeitig aber empfand ich eine unerklärliche Freude für die beiden, wenn wir nachts in den Ail zurückkehrten und Danijar singen hörten. Solange wir durch die Schlucht fuhren, saß Dshamila auf dem Wagen, doch in der Steppe stieg sie ab und ging zu Fuß weiter. Ich folgte ihrem Beispiel, man konnte so besser zuhören. Zuerst liefen wir neben unseren Fuhrwerken her, doch dann näherten wir uns, ohne daß es uns bewußt wurde, mehr und mehr Danijar. Eine geheimnisvolle Kraft zog uns zu ihm; wir wollten sein Gesicht, seine Augen sehen und uns vergewissern, daß es wirklich Danijar war, der da sang, der menschenscheue, düstere Danijar.
Und jedesmal streckte Dshamila selbstvergessen und ergriffen die Hand nach ihm aus. Danijar aber bemerkte es nicht. Den Kopf in die Hand gestützt, saß er hin und her schaukelnd im Wagen und blickte aufwärts in eine unbestimmte Ferne. Und Dshamilas Hand sank kraftlos auf die Seitenstange nieder. Sie erschrak bei der Berührung, zog die Hand hastig zurück und blieb stehen. Niedergeschlagen, erschüttert verharrte sie auf dem Weg und sah Danijar lange, lange nach, ehe sie weiterging.
Zeitweilig schien es mir, als bewege Dshamila und mich das gleiche unbestimmte, uns beiden gleichermaßen rätselhafte Gefühl. Vielleicht hatte dieses Gefühl schon lange in uns geschlummert, und jetzt war es erwacht?
Die Arbeit lenkte Dshamila immerhin noch ab, doch in den seltenen Ruhepausen auf dem Druschplatz wußte sie nicht, wohin mit sich. Sie stand unschlüssig bei den Worflern umher, wollte ihnen helfen, warf mit aller Kraft einige Schaufeln Weizen hoch in den Wind, legte das Werkzeug aber plötzlich zur Seite und ging zu den Strohmieten. Dort setzte sie sich in den Schatten und rief mich, als fürchte sie die Einsamkeit: „Komm, Kitschine-bala, setz dich ein bißchen zu mir!"
Ich wartete immer darauf, daß sie mir anvertrauen werde, was sie bewegte, aber sie sprach nicht. Schweigend legte sie meinen Kopf auf ihre Knie, fuhr, den Blick in die Ferne gerichtet, durch mein borstiges Haar und streichelte mit zitternden, heißen Händen zärtlich meine Wangen. Ich sah sie von unten herauf an, ich blickte in dieses Gesicht, in dem sich Sehnsucht und bange Furcht widerspiegelten, und ich erkannte, so schien es mir, mich selber in ihr. Auch sie quälte etwas, auch in ihrem Herzen reifte etwas, das heraus wollte. Und sie fürchtete sich davor. Wie gern wollte sie sich eingestehen, daß sie verliebt war, und wie ängstlich hütete sie sich davor, genauso wie ich wünschte und zugleich nicht wünschte, daß sie Danijar liebte. Schließlich war sie die Schwiegertochter meiner Eltern, die Frau meines Bruders! Doch diese Gedanken beschäftigten mich nur kurze Augenblicke. Ich vertrieb sie. Mir bereitete es damals eine unsagbare Wonne, den Geruch ihres heißen, sonnenverbrannten Körpers zu spüren, zu beobachten, wie sich ihre Brust unter dem Ausschnitt des Kleides verhalten hob; ich betrachtete versunken ihre kindlich zarten, ein wenig geöffneten Lippen und ihre Augen, in denen Tränen schimmerten. Wie gut, wie schön war sie, ihr Gesicht atmete vor heller Versonnenheit und Leidenschaft! Damals sah ich das alles nur, doch ich begriff es noch nicht. Heute stelle ich mir manchmal die Frage, Ist Liebe vielleicht dieselbe Eingebung, die ein Maler oder ein Dichter erlebt? Als ich damals Dshamila ansah, wäre ich am liebsten in die Steppe gelaufen, um Himmel und Erde anzurufen, was ich tun, wie ich diese rätselhafte Erregung und diese unverständliche Freude in mir beschwichtigen sollte. Und einmal fand ich die Antwort.
Wir kehrten wie gewöhnlich von der Bahnstation zurück. Die Nacht brach herein, am Himmel schwärmten die Sterne, die Steppe ging zur Ruhe, nur das Lied Danijars schwang sich in die Stille auf und verklang in der weichen dunklen Ferne. Dshamila und ich folgten zu Fuß Danijars
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