Dshamila
haben. Ich wartete jetzt ständig auf etwas Gutes, Erwünschtes. Morgens beluden wir auf dem Druschplatz die Wagen, dann fuhren wir zum Bahnhof, und von dort konnten wir nicht schnell genug wegkommen, um auf dem Rückweg Danijars Lieder zu hören. Seine Stimme nahm mich völlig gefangen, sie begleitete mich auf Schritt und Tritt. Ich hörte sie morgens, wenn ich durch die taufeuchte Luzerne zu den gefesselten Pferden lief und die Sonne vor mir strahlend hinter den Bergen aufstieg; ich hörte sie in dem weichen Rauschen des goldenen Weizenregens, wenn die alten Worfler die Körner mit ihren Schaufeln in den Wind warfen, beim Anblick eines hoch über der Steppe kreisenden einsamen Geiers, bei allem, was ich sah und hörte, vernahm ich Danijars wundersame Melodien. Und wenn wir abends durch die Schlucht fuhren, dann schien es mir jedesmal, als wäre ich in eine andere Welt versetzt. Ich hörte Danijar mit geschlossenen Augen zu, und vor mir erstanden seltsam bekannte, mir aus frühester Kindheit vertraute Bilder: Mal glitten hoch oben über Nomadenzelten flockige graublaue Frühlingswolken dahin; mal sprengten stampfend und wiehernd Pferdeherden auf das sommerliche Weideland, Hengstfüllen darunter mit wehendem Stirnhaar und wildem schwarzem Feuer in den Augen, die ihre Mütter ausgelassen umkreisten; mal zogen Schafe in ruhigem breitem Strom über die Vorberge; mal stürzte ein Wasserfall von hohen Felsen herab, die Augen blendend mit seinem weißen, brausenden Gischt; mal sank die Sonne hinter dem Fluß sanft in das üppige Steppengras, und ein einsamer ferner Reiter am feurigen Horizont sprengte ihr nach — mit der Hand schien er an sie heranzureichen —‚ bis auch er im Gras und in der Dämmerung untertauchte.
Weithin erstreckt sich jenseits des Flusses die kasachische Steppe. Sie hat unsere Berge zu beiden Seiten auseinandergeschoben und liegt nun zwischen ihnen, öde und menschenleer.
Doch in dem denkwürdigen Sommer, in dem der Krieg ausbrach, loderten Feuer in der Steppe auf; zur Front abziehende Pferdeherden hüllten sie in heiße Staubwolken, und berittene Boten durchsprengten sie in allen Richtungen. Ich entsinne mich, wie vom anderen Ufer ein Kosak zu Pferd mit der kehligen Stimme der Hirten herüberrief: „In den Sattel, Kirgisen! Der Feind ist im Land!" und durch den Staub und die flimmernd heiße Luft weiterjagte.
Die Steppe bot alles auf. Mit feierlich-dumpfem Dröhnen zogen unsere ersten berittenen Regimenter von den Bergen herab und durch die Täler. Tausende Sporen klirrten, Tausende Dshigiten blickten in die Steppe. Voran flatterten die roten Banner an den Schäften, hinter dem Staub der Hufe ertönte die erhabene, traurige Klage der Frauen und Mütter: „Die Steppe möge euch beistehen, der Geist unseres Helden Manas euch helfen!" Dort, wo das Volk in den Krieg zog, blieben bittere Spuren zurück. Diese ganze Welt irdischer Schönheit und Unrast zeigte mir Danijar durch sein Lied. Wo hatte er das gelernt, von wem das alles gehört? Ich begriff, daß nur derjenige seine Heimat so innig lieben konnte, der sich lange Jahre hindurch mit ganzem Herzen nach ihr gesehnt hatte, dessen Liebe durch Leiden gereift war. Wenn Danijar sang, dann sah ich auch ihn selbst, wie er als Junge auf den Straßen der Steppe dahinwanderte. Vielleicht waren damals in seiner Seele die Lieder von der Heimat geboren worden, vielleicht aber auch in der Zeit, als er das Toben des Krieges erlebte. Wenn ich ihn singen hörte, dann hätte ich mich am liebsten zur Erde geworfen und sie wie ein dankbarer Sohn umarmt, allein schon dafür, daß ein Mensch sie so lieben konnte. Damals fühlte ich zum erstenmal etwas Neues in mir erwachen. Ich konnte es noch nicht fassen, doch es war etwas Unüberwindliches, es war das Bedürfnis, sich mitzuteilen, ja, sich mitzuteilen, nicht nur selbst die Welt zu sehen und zu empfinden, sondern anderen das Entdeckte, die eigenen Gedanken und Gefühle zu vermitteln, von der Schönheit unserer Erde zu erzählen, genauso mitreißend, wie es Danijar tat. Furcht und Freude vor dem Ungewissen ließen mir das Herz stocken. Ich wußte damals noch nicht, daß ich den Pinsel zur Hand nehmen sollte.
Ich zeichnete seit meiner Kindheit gern. Wenn ich die Bilder aus meinen Schulbüchern abmalte, sagten die Kinder, daß es mir „haargenau" gelungen sei. Die Lehrer in der Schule lobten meine Zeichnungen an unserer Wandzeitung. Doch dann begann der Krieg; meine Brüder gingen zur Armee, und ich gab die Schule
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