Du bist zu schnell
Antwort. Das Rascheln wiederholt sich, etwas schabt rauh über eine Wand, ich sehe für Sekunden Funken auf-sprühen.
- Es sind drei, höre ich Val flüstern.
Wieder eine Bewegung, dieses Mal neben mir, etwas berührt mich am Arm, ich schrecke zurück und schlage zu, hämmere einmal, zweimal gegen die Wand, höre den Putz rieseln, höre mich selbst keuchen.
- Kannst du sie sehen? frage ich.
- Sie sind zu schnell, sagt Val und schreit plötzlich auf.
-Val?!
Ich höre sie wimmern, ich kann noch immer nicht sagen, wo sie ist. Ich will still sein und brülle los:
- IHR VERDAMMTEN SCHWEINE! WAS SEID IHR NUR FÜR FEIGE SCHWEINE?! WENN EINER VON EUCH ETWAS MIT JENNIS TOD ZU TUN HAT, DANN SOLL ER SICH MIR STELLEN, DAMIT WIR ES ZU ENDE BRINGEN!
Wieder keine Antwort. Hastige Schritte, das Quietschen des Sofas, Geflüster. Ich wünschte, ich könnte in der Dunkelheit sehen.
-Theo, paß auf.
- Ich paß schon ...
Etwas bewegt sich auf mich zu, ich blinzle, es ist wieder weg. Ich mache einen Schritt nach vorn, halte den Schürhaken wie ein Schwert. Wieder eine Bewegung, direkt vor mir. Ich gehe darauf zu, es weicht zurück, ich gehe näher ran, werde schneller, entschlossener — dann ist es verschwunden.
Ich sehe mich um und begreife, was ich für einen Fehler gemacht habe. Die Wand, ich hätte die Wand nicht verlassen sollen. Hastig mache ich ein paar Schritte nach hinten. Der Rücken muß gedeckt bleiben, das sieht man in jedem Actionfilm, ich muß meinen Rücken---
Ich drehe mich um und will zur Wand laufen, da sehe ich eine Bewegung aus der Dunkelheit heraus. Jemand kommt auf mich zugerannt. Ich will zurückweichen, ich bin zu langsam, spüre den Schmerz und sehe hinunter. Das Messer ist bis zum Anschlag in meinem Bauch verschwunden. Es gibt einen Ruck, als es hochgezogen wird. Es fühlt sich an, als ob tief in mir ein Knoten durchtrennt worden wäre. Ein Gefühl der Erleichterung. Ich falle auf die Knie,
falle zur Seite und spüre
den Aufschlag nicht
spüre nur die
Ruhe und Zufriedenheit
Es ist so
angenehm
daß es im Dunkeln geschieht
Es ist nicht falsch
und es ist nicht richtig
Es ist
Wie oft habe ich schon
mit Freunden rumgealbert
wie das Ende wohl
aussehen wird
An Dunkelheit habe ich nie gedacht
Ich hätte an Dunkelheit denken sollen
Dunkelheit
ist das richtige Ende
weiß nicht, ob ich
liege
spüre nichts mehr
dann bewegt sich
ein Schatten über mir
und senkt sich langsam
auf mich herab
eine Stimme füllt meinen
Kopf
einatmen
ausatmen
— Du bist zu langsam.
Klar und
deutlich
Die Stimme löst sich auf
das Atmen verschwindet
der Schatten schwebt wieder
über mir und
senkt sich dann auf
mich herab
Das ist der Tod
denke ich
Ich blinzle
ich sehe
Wir sind von
Angesicht
zu Angesicht
MAREK
1
Als ich klein war, gehörte ich zu den Nieten, wenn es ums Versteckspielen ging. Ich war mir sicher, daß mich niemand sehen konnte, wenn ich ihn nicht sah. Also hing immer mein Bein oder mein Fuß irgendwo raus. Die anderen Kinder hatten leichtes Spiel mit mir. Irgendwann fing ich an, mir Verstecke zu suchen, auf die keiner kam. Es waren keine erlaubten Verstecke. Es waren Orte, an denen man nicht suchte, weil sie nicht zum Spiel gehörten. Einmal lief ich über die Straße und ging eine Nachbarin besuchen. Einmal setzte ich mich in die Badewanne, häufte dreckige Wäsche über mich und schlief ein. Und einmal saß ich festgebunden auf einem Sessel und arbeitete unermüdlich an den Knoten, bis ich sie aufbekam. Und dann blieb ich weiter sitzen. Und das war der schwierige Part. Weiter sitzen zu bleiben und nicht wie ein Blöder aufzuspringen und Frei! Ich bin frei! zu rufen.
Ich habe es aufgegeben, mit Worten an Theo heranzukommen. Meine Warnungen bringen nichts. Als die beiden aus dem Haus gehen, um nach Spuren zu suchen, befreie ich mich von den Fesseln. Val hat sich zwar Mühe gegeben, doch ich hatte genug Zeit, die Knoten zu lockern. Was jetzt? Durchs Fenster kann ich nicht verschwinden, sie würden mich sofort sehen. Während ich überlege, was ich tun soll, brennen die letzten zwei Kerzen herunter und erlöschen. Gleichzeitig. Dann höre ich Val und Theo auf das Haus zurennen.
Mir ist klar, daß es keine gute Idee ist, sich in einem der Zimmer zu verstecken, sie würden mich garantiert finden, also taste ich mich durch die Dunkelheit auf die Haustür zu und ziehe sie auf. Strahlendes Weiß leuchtet dahinter. Eine Wand aus Schnee.
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