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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Henry
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Inneren sagt mir, dass ganz egal, was ich getan hätte, ich trotzdem am Ende sterben müsste.
    Seit mir klar ist, dass die Unterhose von einem anderen Mädchen stammt, ein Mädchen, das nicht mehr hier ist, habe ich mich so gut es geht darauf eingestellt. Ich habe den weißen Teller, auf dem er meine letzte Mahlzeit gebracht hat - mir wird jetzt klar, dass es tatsächlich meine allerletzte Mahlzeit gewesen sein könnte - in mehrere handliche Scherben zerbrochen, die ich im Raum versteckt habe. Da sie genauso weiß wie die Wände und der Fußboden sind, fallen sie kaum auf. Um die längste Scherbe habe ich als eine Art Griff die Unterhose des fremden Mädchens gewickelt und damit in der Luft Zustechen und Aufschlitzen geübt.
    Und ich habe eine der Latten aus dem Klappbett gerissen und unter dem Futon versteckt, nachdem ich sie ein paarmal zur Probe geschwungen habe. Sobald ich das Schloss klicken höre, stelle ich mich neben die Tür und schwinge die Latte. Ich muss mich konzentrieren. Mit dem falschen Winkel verpasse ich ihn womöglich vollkommen und treffe nur die Wand.
    Gestern habe ich geschrien, um zu sehen, ob er irgendwann kommen würde. Ich wollte nicht mehr warten. Es war wie damals, als ich hier zu mir kam, nur dass ich jetzt weiß, dass die Lage wirklich aussichtslos ist. Ich habe erst aufgehört, als meine Kehle rau wurde. Danach musste ich eine der wertvollen Wasserflaschen austrinken.
    Jetzt liege ich zusammengekauert auf dem Bett, das selbst gebastelte Messer locker in der einen Hand, während die Finger der anderen die Holzlatte berühren.
    Ich bete für meine Familie und meine Freunde und rufe mir ihre Gesichter in Erinnerung. Vielleicht hat der Hunger meine
    Sinne geschärft, aber es kommt mir so vor, als könnte ich sie wirklich sehen. Ich sehe Moms blaue Augen so deutlich vor mir, dass ich »Ich liebe dich« flüstere, und beinahe meine ich zu hören, wie sie zurückflüstert. Ich sehe sogar die anderen von der Arbeit. Gaby blickt mich direkt an. Tränen füllen meine Augen, laufen mir übers Gesicht und sammeln sich in meinem Ohr. Ich weiß, dass ich Wasser verschwende, kann aber nichts dagegen tun.
    Und ich bete, dass ich bereit bin. Bereit, ihn zu töten.
    Oder mich selbst zu töten, wenn es sein muss. Denn lieber schlitze ich mir mit meinem selbst gebastelten Messer die Handgelenke auf, als drei Monate lang erbärmlich zu krepieren.

KAYLAS HOROSKOP
    Der heutige Tag wird nicht so leicht für dich, wie er sein sollte, da du noch in einer Art und Weise mit der Vergangenheit verbunden bist, die es dir schwer macht, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren. Du weißt zwar, was du willst und wohin du willst, aber noch sind dir die Hände gebunden. Lass dich von Hürden und Verzögerungen nicht frustrieren und zu unüberlegten Handlungen reizen. Sei vorsichtig. Denke gründlich nach, bevor du unnötige Entscheidungen triffst.

Der vierzehnte Tag
DREW
    Gestern war die Beerdigung. Heute sollen wir wohl wieder auf Alltag umschalten. Meine Brust fühlt sich leer an, als würde etwas fehlen.
    Gaby sieht noch schlimmer aus als ich. Sie hat gesagt, sie konnte letzte Nacht nicht schlafen und gefragt, ob ich mich fit genug fühle, um heute Lieferungen zu fahren. Wahrscheinlich hat Gaby gestern Nacht immer Kayla vor sich gesehen, sobald sie die Augen geschlossen hat. Wie oft sie sich auch sagte, dass es nur ein Traum ist, nur ein Trugbild, Kayla verschwand nicht.
    Als ich auf dem Rückweg von meiner dritten Lieferfahrt in der Nähe der Fremont-Brücke bin, bemerke ich dicht hinter mir Autoscheinwerfer. Zu dicht. Ich fahre etwas schneller. Vielleicht ist der Fahrer so ungeduldig, weil ich absichtlich ungefähr 10 km/h unter der Geschwindigkeitsbegrenzung fahre, um nicht von den Bullen angehalten zu werden. Ich habe zwar meinen Führerschein, aber keine Ahnung, wo Gaby die Fahrzeugpapiere aufbewahrt. Außerdem muss ich immer daran denken, dass es ihr Auto ist.
    Der Fahrer klebt noch immer an meiner Stoßstange. So dicht, dass ich die Scheinwerfer nur sehen kann, wenn ich den Kopf hebe. So dicht, dass ich noch nicht einmal erkenne, was für ein Auto es ist. Nur, dass eine einzelne Person drinsitzt. Beide Hände am Lenkrad. Also telefoniert sie vermutlich noch nicht einmal, es sei denn mit Freisprechanlage. Aber sie muss telefonieren, so, wie sie fährt. Als wäre ich gar nicht auf der Straße.
    Mittlerweile bin ich ungefähr 10 km/h zu schnell.
    Die Spur neben mir ist frei, eigentlich sind wir die einzigen zwei

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