Du lebst, solange ich es will
nicht.
Gaby hat noch kein Wort von sich gegeben, seit sie das Auto hinter der Kirche auf dem Parkplatz abgestellt hat. Jetzt sieht sie zu mir auf und sagt: »Kayla ist nicht tot, Drew.« Ein paar Leute drehen sich nach uns um.
»Gaby -«, beginne ich, breche dann aber ab.
»Sie ist nicht tot.« Gaby verzieht das Gesicht. »Ich weiß es.«
Plötzlich packt uns jemand am Arm.
Ich fahre herum. Es ist Thayer. Er trägt einen Anzug, keine Uniform, aber er sieht trotzdem von Kopf bis Fuß wie ein Polizist aus.
»Kommt mit mir mit«, sagt er leise. »Sofort.« Er zieht uns vom Tisch weg, stößt eine Tür auf und führt uns einen langen leeren Flur entlang, von dem auf einer Seite Türen abgehen. Er lässt uns los.
»Gabriella, ich gehe dir einen Ratschlag: Hör auf damit.« Er klingt gehetzt. »Hör auf zu behaupten, Kayla wäre noch am Leben. Die Cutlers haben mir schon erzählt, was du für eine Szene gemacht hast, als die Hellseherin bei ihnen war. Weißt du, wie sehr sie das verstört hat? Weißt du das?«
Er starrt sie an, bis sie nickt.
»Du kannst nicht in einer Traumwelt leben. Nicht, wenn du damit Menschen verletzt, die sowieso schon kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen können. Sieh dir doch die Beweise an. Nicht alle wissen davon, aber mit fünfzehn wurde Cody Renfrew erwischt, wie er bei einem Nachbarn ins Fenster spähte. Diese Art Verhalten kann sich manchmal hochschrauben und mit Vergewaltigung oder Schlimmerem enden. Er war drogenabhängig und beschaffte sich das Geld für die Drogen durch Diebstahl. Er fuhr einen weißen Lieferwagen, genau so einen, wie er in der Gegend gesehen wurde, in der Kayla verschwand. Und später hat er ihn umlackiert, um es zu vertuschen. Er hat Selbstmord begangen und eine Nachricht hinterlassen, mit der er sich entschuldigt. Angeblich bist du doch so klug, Gabriella - du kannst selbst eins und eins zusammenzählen. Kayla Cutler ist tot.«
»Aber -«, beginnt Gaby, kommt jedoch nicht weiter.
Thayer bellt sie an. »Sie ist tot, und Cody Renfrew hat sie umgebracht. Und auch wenn wir niemals ihre Leiche finden werden, muss die Familie irgendwie damit abschließen. Nur so können sie damit fertig werden. Sie müssen den Tod ihrer Tochter betrauern können und dann wieder nach vorne blicken. Sie können sich nicht an ein Hirngespinst klammern. Ich habe das schon erlebt. Leute, die an die winzige Wahrscheinlichkeit glau ben, ihr Kind könnte eines Tages doch noch durch die Tür marschieren. Sie leben in der Vergangenheit und finden nie aus ihr heraus. Bis sie schließlich selbst halbtot sind. Und weißt du, warum? Weil sie an die klitzekleine Chance glauben, dass ihr Kind noch lebt. Weil ein dummes Mädchen behauptet, sie könnte Kayla >sehen<«, Thayer deutet Gänsefüßchen an, »und angeblich weiß, dass sie nicht tot ist. Hör einfach auf damit. Ich will kein einziges Wort mehr darüber hören.«
Er sieht Gaby abwartend an, doch sie erwidert gar nichts. Weder stimmt sie zu, noch widerspricht sie.
»Hast du mich verstanden? Wenn du es nicht mir zuliebe tust und auch nicht für die Cutlers, dann wenigstens für deinen Freund hier.« Thayer zeigt auf mich. »Denn wenn ich wollte, könnte ich sein Leben zur Hölle machen. Seine Mutter könnte wieder ins Gefängnis wandern, der Freispruch widerrufen werden. Und Drew würde im Heim enden. Er ist erst siebzehn.«
»Was? Wovon reden Sie da?« Mein Magen zieht sich zusammen.
»Ich sorge mich nur um diese arme Familie, was ihr nicht tut. Ihr zwei habt uns bei den Ermittlungen nicht gerade geholfen. Rein gar nicht. Drew kann sich nicht an den Anrufer erinnern. Ihr redet beide mit Cody Renfrew, haltet es aber nicht für nötig, uns sofort zu verständigen, sondern erst am nächsten Tag. Und jetzt versuchst du, ihre Familie mit deinem Wunschdenken zu verstören.« Er greift nach Gabys Schulter und schüttelt sie leicht. »Kayla Cutler ist tot und ich will von dir nicht noch einmal irgendetwas anderes hören.«
MITSCHNITT DER »OPAL SHOW«
Opal: Heute sprechen wir mit der berühmten Hellseherin Elizabeth Lamb über das vermisste Mädchen aus Oregon, Kayla Cutler. Am Freitag beging ihr mutmaßlicher Entführer Selbstmord, während er mit der Notrufzentrale telefonierte. In seiner Hosentasche fand man einen Zettel mit der Bitte um Vergebung.
Lamb: Mit allem angebrachten Respekt den Eltern gegenüber, und ich hoffe, ich bringe hierfür genügend Feingefühl auf, aber Kaylas rein körperliche Überreste liegen im Fluss. Ihr
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