Du oder das ganze Leben
drücken geschäftig auf die Tasten. »Gut gemacht.«
Ich schlinge meine Finger um die Hand meiner Schwester, bevor ich mich wieder meinen Eltern zuwende. »Wenn ihr mich für das, was ich bin, rausschmeißen oder enterben wollt, nur zu. Bringt es hinter euch.«
Ich habe ein für alle mal genug davon, Angst zu haben. Angst um Alex, um Shelley, um mich selbst. Es ist Zeit, mich meinen Ängsten zu stellen oder mein ganzes Leben wird von Trauer und Schuld beherrscht sein. Ich bin nicht perfekt. Es ist Zeit, dass das dem Rest der Welt ebenfalls klar wird. »Mom, ich werde mit der Sozialarbeiterin in der Schule reden.«
Meine Mutter verzieht angewidert das Gesicht. »Das ist idiotisch. Es wird für alle Zeit in deiner Schulakte stehen. Du brauchst keine Sozialberatung.«
»Doch, das tue ich.« Ich nehme all meinen Mut zusammen und füge hinzu: »Und ihr auch. Wir alle brauchen sie.«
»Hör mir gut zu, Brittany. Wenn du jetzt durch diese Tür gehst, brauchst du nicht wiederzukommen.«
»Du rebellierst gegen uns«, wirft mein Vater ein.
»Ich weiß, und es fühlt sich verdammt gut an!« Ich schnappe mir meine Handtasche. Sie ist alles, was ich habe, abgesehen von den Klamotten, die ich trage. Ich setze ein breites Lächeln auf und strecke Paco die Hand entgegen. »Können wir?«
Er nimmt sie in seine, ohne mit der Wimper zu zucken. »Jawohl.«
Als wir in seinem Auto sitzen, bemerkt er: »Du bist ganz schön hart im Nehmen. Ich hätte nie gedacht, dass du so kämpfen kannst.«
Paco fährt mit mir in den düstersten Teil von Fairfield. Nachdem wir angehalten haben und ausgestiegen sind, führt er mich
zu einem Lagerhaus in einer verlassenen Hintergasse. Als wollte Mutter Natur uns warnen, ziehen drohende dunkle Wolken auf und ein eisiger Hauch umweht uns.
Ein stämmiger Kerl stellt sich uns in den Weg. »Wer ist die Schneebraut?«, will er wissen.
»Sie ist sauber«, versichert ihm Paco.
Der Kerl betrachtet mich prüfend von oben bis unten, bevor er die Tür öffnet. »Wenn sie anfängt rumzuschnüffeln, hältst du dafür den Kopf hin, Paco«, sagt er warnend.
Alles, was ich will, ist Alex von hier wegzuholen, weg von der Gefahr, die uns an diesem Ort von allen Seiten zu umgeben scheint. »Hey!«, ruft eine heisere Stimme in meine Richtung, »wenn du was brauchst, um dich gut zu fühlen, bin ich dein Mann, si ?«
»Komm mit«, sagt Paco, nimmt meinen Arm und zieht mich mit sich geradeaus durch den Gang. Vom anderen Ende des Lagerhauses dringen Stimmen an mein Ohr … Alex’ Stimme.
»Lass mich allein zu ihm gehen«, sage ich.
»Das ist keine so gute Idee. Warte besser, bis Hector mit ihm fertig ist«, sagt Paco, aber ich höre nicht auf ihn.
Stattdessen gehe ich in die Richtung, aus der Alex’ Stimme kommt. Er redet mit zwei anderen Männern. Sie führen offensichtlich ein ernstes Gespräch. Einer der beiden zieht ein Blatt Papier hervor und gibt es Alex, der mich in genau dem Moment entdeckt.
Er sagt etwas zu dem Mann auf Spanisch, bevor er das Blatt zusammenfaltet und in die Tasche seiner Jeans steckt. Seine Stimme ist hart und unbewegt, genau wie sein Gesichtsausdruck. »Was zum Teufel machst du hier?«, herrscht er mich an.
»Ich wollte nur …«
Ich kann meinen Satz nicht beenden, denn Alex packt mich
grob am Oberarm. »Du wirst auf der Stelle hier verschwinden. Wer hat es gewagt, dich herzubringen?«
Ich bin noch dabei, mir eine Antwort auf diese Frage einfallen zu lassen, als Paco aus der Dunkelheit auf uns zutritt.
»Alex, bitte. Paco hat mich vielleicht hergebracht, aber es war meine Idee.«
» Culero «, ruft Alex und lässt mich los, um sich Paco vorzuknöpfen.
»Ist das hier nicht deine Zukunft?«, fragt Paco. »Warum ist es dir peinlich, deiner novia dein zweites Zuhause zu zeigen?«
Alex’ Faust schnellt hervor und trifft Paco am Kinn, der daraufhin zu Boden geht. Ich renne zu ihm und werfe Alex über die Schulter einen scharfen Blick zu. »Ich glaube einfach nicht, dass du das getan hast!«, schreie ich. »Er ist dein bester Freund, Alex.«
»Ich will dich an diesem Ort nicht sehen!« Ein bisschen Blut läuft aus Pacos Mundwinkel. »Du hättest sie nicht herbringen dürfen«, wiederholt Alex, etwas ruhiger. »Sie gehört nicht hierher.«
»Genauso wenig wie du, Bruder«, sagt Paco leise. »Jetzt bring sie hier weg. Sie hat genug gesehen.«
»Komm mit«, befiehlt Alex mir und streckt die Hand aus.
Anstatt zu ihm zu gehen, nehme ich Pacos Gesicht in meine Hände und
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