Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
Cromwell kam, um sich zu verabschieden. Er musste wieder an seine Schule. Missmutig drückte er sich noch bis abends in meiner Wohnung herum und fuhr dann weg, die Laune auf Halbmast. Ich hatte das Gefühl, dass eine rauschende Feier zu Ende gegangen war und sich die gesamte Welt jetzt schnöde jammernd in einem Kater wälzte. Mendelssohn erzählte am Telefon, dass Marvie nach mir gefragt hätte. Ob ich eventuell sauer sei, wegen der Leiche. Und ob man mich telefonisch erreichen könne. Ich horchte in mich hinein und stellte erstaunt fest, dass sich auch bei angestrengt bebilderten Erinnerungen
an Marvie nichts in meinen Kutteln rührte. Offenbar hatten mich die heiklen Vorgänge rund um die Lövenichs sehr erschöpft.
Noch nicht einmal ein Inspektionsgang durch mein Revier heiterte mich auf.
Zumal mich gleich drei rauchende Azubis dabei ertappten, wie sich ein aus allen Ecken suppender Sahnehering auf mein Hemd übergab.
Kapitel 19
enthält ein hochnotpeinliches Verhör und ein Bad
im erotischen Abklingbecken.
A b Mittwoch kam endlich Schwung in unsere Causa. Marvie versuchte alle fünf Minuten, mich telefonisch auf dem Laufenden zu halten sowie ein Treffen auszumachen. Meinen Hinweis darauf, dass wir erst mal den großen Wurstzirkus abwarten müssten, bevor wir uns in aller Unschuld wieder treffen könnten, akzeptierte sie murrend. Und erzählte mir von den neuesten Entwicklungen: Zunächst wurde Marvie von Ellen befragt, ob sie etwa wieder mit dem Dicken zusammen sei. Marvie verneinte. Seit dem Quickie auf der Feier habe sie ihn nicht mehr gesehen, und eigentlich sei ihr das ganz recht, denn sie hätte
sich anderweitig verliebt. Außerdem wisse sie aus erster Hand, dass der Dicke nicht vorgehabt habe, Ellen aufzugeben. Nur weil er mal hie und da herumvögele, sei das doch noch lange kein Grund für eine Trennung. Gerührt von so viel Zuneigung und Treuebeweisen bemühte sich Ellen erneut um Kontakt zu dem Geliebten, der so wundersam seine Uhr an ihre Tür geheftet hatte. Doch er selbst blieb verschollen. Als er noch nicht einmal zu der von ihm so ersehnten Verleihung des Dramatikerpreises erschien, wurde eine Vermisstenanzeige gemacht. Auch erschien eine erste kleine Erwähnung in einer Regionalzeitung.
Das Wetter war durchgedreht und produzierte einen heißen Sommertag nach dem nächsten. Ich besuchte Mendelssohn und brachte ihm einige wohlverschweißte Bagel aus meinem Container-Revier mit. Wir aßen im Garten unter einem Schirm, die Mauer zu den Lövenichs im Rücken. Hinter der Mauer herrschte belebtes Schweigen.
Die Anwesenheit von Menschen war durch die Wand zu spüren, nahezu plastisch-körperlich. Aber diese Anwesenheit war so tonlos, dass sie nur noch als negative Vibration in unseren Garten zitterte. Es war, als würden hinter diesen Steinen mehrere Menschen auf der Lauer liegen. Worauf warteten sie wohl? Darauf, dass einer von uns etwas sagte? Und zwar etwas Falsches? So verklemmt, wie Mendelssohn und ich dem unsympathischen Schweigen lauschten, fühlte ich mich an die Berichte von Konferenzen unter Stalin erinnert: Lieber erst mal nichts sagen und abwarten, bis die nächste Losung ausgegeben ist. Doch die Nachbarn
erlösten uns nicht mit einer Losung, einer Parole oder einem Motto. Also saßen wir stumm unter dieser lövenichschen Glocke des Schweigens. Nach zäher Zeit erklang der lövenichsche Hausgong. Jemand bewegte sich ins Haus und kam mit Verstärkung wieder zurück. Die Verstärkung waren zwei Stimmen, ein langsamer, angenehmer Bariton und ein schneller, scharfer Tenor. Die beiden stellten sich vor, und als das Wort »Kriminalpolizei« fiel, riss es Mendelssohn und mich fast vom Stuhl. Stille heischend hielt Mendelssohn völlig überflüssigerweise den Zeigefinger an die gespitzten Lippen, als wäre von mir ein störender Sprechanfall zu befürchten. Der nette Bariton erklärte, dass der Wurstmann seit der lövenichschen Feier schmerzhaft vermisst würde und ob man vielleicht etwas wüsste.
Je nun. Katharina und Laura schilderten süß und weich, dass der nette Exfreund ihrer kleinen Schwester natürlich auch an der Party teilgenommen habe, und in den Morgenstunden hätte man ihn mitsamt seinem Promillegehalt in ein Taxi gesetzt und zu seiner Heimatadresse chauffieren lassen. Er sei nämlich ziemlich hinüber gewesen, aber das sei nichts Neues, business as usual.
Welche Taxinummer man denn gerufen habe, wollte der scharfe Tenor wissen. Und ob noch andere den Dicken hätten gehen
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