Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
auf. Der arabische Regisseur Moustapha Akkad hat ihm mit dem Film Omar Mukhtar – Löwe der Wüste ein künstlerisches Denkmal gesetzt. Mit Anthony Quinn als Omar Mukhtar.
Der eifersüchtige Gaddafi hatte daraufhin Omar Mukhtars in Bengasi bestattete Überreste ausgraben und in der Wüste verscharren lassen. Doch jetzt ist dieser erst recht Vorbild der meisten Libyer und Symbol der Revolution. Ob auch Omar Mukhtar italienische Kampfflugzeuge zur Befreiung Libyens fordern würde, frage ich Abdul Latif. »Bestimmt nicht«, lacht er. »Aber das war auch eine andere Zeit.«
Ein Demonstrationszug Fahnen schwenkender Medizinstudentinnen bewegt sich Richtung Tahrir-Platz. »No-fly-zone«, rufen die Nachwuchsmedizinerinnen auf Englisch und: »Gaddafi, hau ab!« Ich staune, wie gut organisiert die jungen Libyerinnen in perfektem Englisch nach den Kolonialherren von gestern rufen. Wer zieht da die Fäden?
Ich klinke mich in den Zug ein und rede auf einige der Mädchen ein. »Ihr wollt Freiheit«, sage ich immer wieder. »Aber Freiheit kann man doch nicht mit Freiheit bezahlen!« Einige der Mädchen stutzen. Dann sagen sie, anschließend würden sie die NATO ja wieder rauswerfen, und demonstrieren weiter. Zehn Minuten lang gehe ich diskutierend, gestikulierend in dem Demonstrationszug mit. Dann lasse ich ihn weiterziehen. Ich kann hier keine Gegendemonstration veranstalten.
Wir gehen zum Tahrir-Platz zurück. Zu den jubelnden, hoffenden, frohgemuten Menschen, die sich so sehr nach Freiheit sehnen. Wie die Menschen in Tunesien und Ägypten.
Doch vieles ist hier anders. Die Auseinandersetzung ist brutaler. Und nicht ganz so unbeeinflusst von außen wie die Revolutionen von Tunis und Kairo. Am Tahrir-Platz hängt ein riesiges, in Europa produziertes Werbeplakat mit dem englischen Slogan »We Have a Dream«. Wer träumt hier welchen Traum?
Abdul Latif nimmt mich zur Seite und zeigt mir an den Wänden die Bilder der getöteten Libyer. Jugendliche, Kinder, alte Menschen. »Sie alle sind für Libyens Freiheit gestorben. Wir werden einen hohen Preis bezahlen müssen, bis wir wirklich frei sind. Gaddafi ist nicht Ben Ali oder Mubarak.«
Um Mitternacht sind noch viele Menschen auf dem Tahrir-Platz. Auf einmal stoßen Hunderte, Tausende hinzu. Sie kommen zum Totengebet für den Kameramann von Al-Dschasira, Ali Hassan Al-Jaber. Der 56-Jährige ist am Nachmittag wenige Kilometer vor Bengasi von Gaddafi-Kämpfern erschossen worden. Noch am Mittag hatte er auf dem Tahrir-Platz ein Totengebet für einen ermordeten Libyer gefilmt.
Sein Leichnam ist in die Fahnen Katars und des neuen Libyen gehüllt. Als das Totengebet zu Ende ist, rufen die Hunderttausende wie ein Mann: »Bi ruh, bi dam, nafdiyaa a Al-Dschasira! – Mit unserer Seele, unserem Blut verteidigen wir dich, o Al-Dschasira.« Von der Fröhlichkeit, die noch vor einer Stunde herrschte, ist nichts geblieben. Selbst Bengasi ist noch lange nicht von Gaddafis Leuten befreit. »Sie müssen sehr aufpassen«, sagt Abdul Latif zu uns. »Hier wimmelt es von Agenten.«
Am nächsten Morgen taucht Abdul Latif erst mit großer Verspätung gegen 12 Uhr auf. Den ganzen Vormittag lang hat er unsere Fahrt nach Brega vorbereitet. Erwartungsvoll fahren wir los.
IV.
Sonderfall Syrien
Wo, bitte, geht es hier zur Revolution?
Im März 2011 erreichte der demokratische Virus auch Syrien. Dieses Land kenne und liebe ich besonders. Ein Dutzend Mal bin ich in den letzten Jahren hier gewesen und habe märchenhafte Tage verbracht. Von hier aus war ich mehrfach in den umkämpften Irak gereist oder über Jordanien nach Israel. Syriens multireligiöser, multiethnischer Charme hatte für mich stets einen besonderen Zauber. Hier wurde Paulus zum Christen. Hier entstand das Christentum.
Ende Mai 2011 setzte ich mich ins Flugzeug nach Damaskus. Auch Julia war wieder dabei sowie Hakim, ein aus dem Irak stammender würdevoller, älterer Dolmetscher. Mein Übersetzer und Freund Khaled kam diesmal nicht mit. Als »Exil-Syrer« stand er aufseiten der Opposition. Eine Reise in seine Heimat war zu gefährlich.
Damaskus empfing uns wie eh und je – friedlich, fröhlich, quirlig und gastfreundlich. Alles war anders als in Kairo und Bengasi. Und völlig anders, als die westlichen Medien berichteten. Wo, bitte, war hier eine Revolution?
Angelehnt an eine kühle Marmorsäule, sitze ich am dritten Tag meines Aufenthalts im schattigen Innenhof der 1300 Jahre alten Umayyaden-Moschee. Hier befindet sich der Schrein
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