Der Bär
1. Kapitel
Morgens um sieben war die Welt noch in Ordnung, die Sonne schien, mein Teich lag zur Hälfte in gleißendem Licht, ein Feuerschwanzlibellenpaar versuchte einen Hochzeitsflug und machte eine Bruchlandung auf einem Seerosenblatt, weil irgendetwas nicht klappte.
Ich warf den Fischen eine Handvoll Futter in das Wasser und wartete, dass sie kamen. Sie kamen und wirkten ausgesprochen dümmlich, weil sie immer so aussehen, als habe ihnen jemand einen Kaugummi gegen schlechten Mundgeruch verordnet. Und weil ich gut gelaunt war, fand ich, dass sie aussahen wie eine Meute hungriger Menschen, die bei McDonald's auf den argentinischen Einheitsbrei warten.
Satchmo sprang durch die Zaunlücke von der Kirche hinauf, hielt eine beachtlich große Maus im Maul und brüllte trotzdem seinen Triumph hinaus. Er kam an den Teichrand, setzte die Maus wie ein Spielzeug sorgfältig ab und ließ sie laufen. Die Maus sauste im Geschwindschritt die Schräge in den Garten hinunter und war im Gras verschwunden. Satchmo schien das nicht im Geringsten zu interessieren, bis er sich kurz straffte und die zwei Meter im Flug erledigte. Dann hielt er die Maus im Maul und jaulte, als habe er den Gral gefunden. Das würde eine Weile so weitergehen, aber fressen würde er sie nicht. Das war absolut unter seiner Würde.
Unter dem Basaltbrocken am Moorbeet hatten sich wie üblich etwa fünfzig kleine Frösche versammelt, die nicht größer waren als der Nagel meines kleinen Fingers. Als die Sonne sie traf, bewegten sie sich unruhig. Ich wusste nichts über ihre Nacht und ihren Tag, ich wusste nur, dass sie wachsen und dann verschwunden sein würden, um irgendwann wieder aufzutauchen und ihre Eier in meinen Teich zu legen. Vielleicht würden ein oder zwei die Reise überleben, Glück haben. Das Gartenrotschwänzchen kam, tschilpte laut, nahm schnell von einem Stein aus Wasser auf und verschwand wieder.
Schwalben und Mauersegler huschten durch die Luft und jagten Futter für ihre unersättliche Brut. Es war ein Eifelmorgen, er war still und voller Leben, und nur selten kam ein Auto vorbei.
Dann schrillte das Telefon, und ich ging nicht sonderlich schnell an den Apparat. Es war Dr. Michael Winter aus Koblenz, und er war aufgeregt.
»Wir suchen doch nach alten Katastereinträgen an der Ahr. Wir wollen rausfinden, wer die Grundstücke und Häuser der Juden übernahm. Das ist vielleicht ein heißes Ding. Wollen Sie es wissen?«
»Will ich.«
»Tut mir leid, dass ich so früh anrufe. Also, es existieren sechstausend Akten über diesen Vorgang im Bereich des Bundes. Aber die Akten unterliegen angeblich dem Datenschutz, sie werden nicht herausgegeben.«
»Dann müssen wir den krummen Weg nehmen und über einzelne Hausbesitzer gehen, die genau wissen, dass ihr Haus einmal ein jüdisches Haus war.«
Er schwieg einen Augenblick. »Ich habe jedenfalls in ein Wespennest gestochen. Meine Nachfrage war denen richtig peinlich. Sehen wir uns?«
»Wir sehen uns.« Wir machten einen Termin aus. Er war von der nachdenklichen Sorte, er war ein angenehmer Mensch, ein Vollblutjournalist.
Rudi Latten stand in der Tür. »Ich nehme mal deine Mähmaschine auseinander und schärfe das Messer.« Er grinste. »Ich habe sowieso nichts zu tun.«
»Dann mach mal, du Mähmaschinenmesserschärfer.«
Er verschwand hinter dem Haus, und ich lobte das Dorf. Wer hat schon Nachbarn wie diese?
Paulchen rieb sich an meinen Beinen, und ich gab ihm etwas von dem Industriefutter, das er über alles liebte. Huhn und Karnickel in feiner Soße. Willi fehlte, ich hatte Willi überhaupt noch nicht gesehen, und wahrscheinlich hatte er wieder einmal seinen Spezialtrick benutzt. Ich ging also in das Schlafzimmer und fand ihn unter der Decke. Er schlief fest und anscheinend traumlos. Es ist jeden Morgen dasselbe Theater: Er wartet vor der Tür, bis ich schlaftrunken herauskomme, wischt dann in den Raum hinein unter das Bett und sucht sich anschließend genussvoll den wärmsten Platz. Ich nahm ihn, sagte »Guten Morgen« und warf ihn raus. Er war beleidigt und verdrückte sich hüftschwenkend, sein Hintern war reinste Verachtung.
Hermann, der Hans Dampf in all meinen Hausgassen, rumorte auf dem Dachboden herum, ein Radio dudelte »Ich hab dich so lieb«, es war alles in allem ein ganz normaler Start in den Tag.
Nicht so normal war der Anruf Günther Probsts von der Dauner Burg, der guttural und bedächtig etwa folgendes Statement abgab: »Also, Sie sollten vielleicht mal kommen. Also,
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