Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Johannes’ des Täufers, den auch die Muslime tief verehren. Einen Steinwurf entfernt steht der in grünen Damast gehüllte hölzerne Sarkophag Saladins. Saladin ist der beliebteste Held der arabischen Geschichte.
Direkt daneben liegt ein edler weißer Marmorsarg. Gestiftet hat ihn der deutsche Kaiser Wilhelm II . Er erachtete den Holzsarg als eines Helden unwürdig. Die Araber sahen das anders. Sie ließen Saladin bis heute in seinem hölzernen Sarg. So muss jeder, der zu Saladin will, an Wilhelms leerem Marmorsarg vorbei. Auch mit leeren Särgen kann man Ruhm erlangen. In Syrien ist Wilhelm II . fast berühmter als in Deutschland.
Eine Gruppe schwarz gekleideter schiitischer Klageweiber zieht an mir vorbei. Summend wie ein Wespenschwarm. Sie wollen zu einem Schrein, in dem angeblich der Kopf Husseins, des Enkels des Propheten, bestattet ist. Am Schrein angekommen, weinen, jammern und flehen sie. Wie in einem alten orientalischen Märchen. Die Eindrücke der letzten zwei Tage gehen mir durch den Kopf.
Stundenlang war ich auf der Suche nach der Revolution durch die Souks der Altstadt gebummelt. Ich war durch die Armenviertel und durch die Vorstädte geschlendert. Mit einem klapprigen Taxi war ich auf den Qasyun-Berg gefahren. Dort hat man einen unvergesslichen Blick auf die Dreimillionenstadt. Die Betreiber von 31 fahrbaren Kiosken hatten aufgeregt versucht, mir wenigstens eine Cola zu verkaufen. Oder ein paar Datteln. Ich war der einzige Tourist, der sich an diesen weltberühmten Ausflugsort verirrt hatte. Damaskus war nicht nur journalisten-, sondern auch weitgehend touristenfrei.
Nirgendwo war Militär zu sehen und nur selten uniformierte Polizei. Stattdessen wie immer auffällig unauffällige Gestalten in grauen und braunen Anzügen, die demonstrativ desinteressiert alles beobachteten. »Ungeheimer« als der syrische Geheimdienst kann man kaum auftreten.
Weit und breit war nichts zu spüren von jener tosenden Aufbruchsstimmung, die ich im Februar in Kairo und im März in Bengasi erlebt hatte. Warum um Himmels willen hatte der syrische Staatspräsident Baschar Al-Assad diese noch immer vor Lebensfreude sprühende Stadt für die Weltpresse sperren lassen?
Und warum hatte das deutsche Außenministerium für Damaskus eine Reisewarnung ausgesprochen? Manche Stadtteile von New York, Los Angeles oder Chicago waren viel gefährlicher als Damaskus in jenen Wochen. Eine deutsche Zeitung schrieb während meines Aufenthalts geheimnisvoll, »man müsse kein Experte sein, um zu erkennen, dass Damaskus keine Zuschauer wünsche, wenn es Armee und Geheimdienste auf die Bevölkerung loslasse«.
Wie immer war ich zum Al-Nofara-Café geschlendert, das trotz Reisewarnungen ein paar unerschrockene, vor allem französische Touristen angezogen hatte. Dort hatte ich meinen alten Bekannten, den Märchenerzähler Abu Schadi, getroffen, der Abend für Abend die Menschen mit seinen arabischen Fabeln in den Bann zog. Als er mich erblickt hatte, hatte er fröhlich gelacht. Ob ich mich nicht auf den Erzählerstuhl setzen wolle. Zurzeit seien wir doch die besten Märchenerzähler. Was er aus dem Westen über Syrien und Damaskus höre und lese, sei besser erfunden als all seine Märchen.
Im Hof der Umayyaden-Moschee bin ich mittlerweile von Jugendlichen umlagert. Alle wollen wissen, woher ich komme. Als ich »Deutschland« sage, gehen wie überall in Arabien ihre Daumen nach oben. Deutschland finden alle gut.
Ich frage auch sie, wo es hier zur Revolution gehe. Sie lachen. Ahmad, ein zwanzigjähriger Jurastudent, erklärt mir, in Syrien sei vieles nicht in Ordnung. Das Land brauche dringend Reformen. Jeder wisse das. Aber Syrien sei nicht Tunesien, Ägypten oder Libyen. Zwar gebe es in einigen Städten und in den Vororten von Damaskus heftige Demonstrationen oppositioneller Teile der Bevölkerung. Aber das sei kein Volksaufstand wie in Ägypten oder Libyen. Nur völlige Ignoranten könnten das übersehen.
Das Problem der Syrer sei nicht ihr Präsident, sondern das ungerechte bürokratische System der Baath-Partei. Assad sei der bessere Teil eines überholten Systems. Er habe noch immer die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. In jedem Fall habe er mehr Anhänger als die Opposition.
Der katarische Sender Al-Dschasira versuche, die Stimmung in Syrien anzuheizen. Katar habe es sich zum Nationalsport gemacht, in seinen Nachbarländern Aufstände anzuzetteln, die sie »demokratische Revolution« nannten. Obwohl Katar selbst eine
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