Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
vielleicht ist für Daraa ein großer BMW mit einem Ehrfurcht gebietenden Fahrer tatsächlich besser. Mit einem alten Taxi würden wir wahrscheinlich schon am ersten Checkpoint scheitern.
Auf einer Schnellstraße geht es durch die fruchtbare Houran-Ebene. Auf den vulkanerdigen Feldern stehen braune Zelte. Wanderarbeiter fristen hier ihr kümmerliches Dasein. Zur Rechten erhebt sich majestätisch der schneebedeckte Berg Jabal ash-Sheikh. Er bildet die Grenze zum Libanon.
Dreißig Kilometer vor Daraa tauchen die ersten Straßensperren auf. Felsbrocken blockieren die Durchfahrt. Fünf übermüdete Soldaten stoppen unseren Wagen, die Kalaschnikow im Anschlag. Rechts neben der Straße döst ein halbes Dutzend weiterer Soldaten im Schatten eines Olivenbaumes vor sich hin. Auf der anderen Straßenseite steht ein kleiner alter Panzer. Ist das alles? Wo sind die zahllosen Panzer, die angeblich die gesamte Stadt abriegeln?
Der kontrollierende Soldat schaut uns irritiert an. Westler scheint er in dieser Gegend schon lange nicht mehr gesehen zu haben. »Touristen aus Deutschland«, erklärt unser »Arnold Schwarzenegger« und hält dem verdutzten Militär seine Sondergenehmigung unter die Nase. Zusammen mit dem riesigen Auto scheint die behördliche Genehmigung großen Eindruck zu machen. Fast ehrfürchtig bedeutet uns der Soldat weiterzufahren.
Nach zwei weiteren Kontrollposten sind wir in Daraa. Schon im Alten Testament wird die jahrtausendealte Stadt erwähnt. Hier schlug Moses den Amoriterkönig Og. Ohne Schwierigkeiten gelangen wir ins historische Stadtzentrum und zum Wochenmarkt.
Ich steige aus und schlendere über den Markt. Kinder lachen mich an und fragen: »How are you?« Sie strahlen, wenn ich irgendetwas antworte. Unser Dolmetscher Hakim, der die ganze Fahrt über angespannt neben mir gesessen hatte, atmet tief durch. Er ist völlig überrascht. »Das müssen Sie filmen«, sagt er zu Julia, »das glaubt Ihnen sonst niemand.«
Jeder versucht, uns etwas zu verkaufen – Schals, Schuhe, Seife, Obst, Lebensmittel. Nach Versorgungsengpässen sieht das nicht aus. Nirgendwo sehen wir uniformierte Polizei. Nur zwei Soldaten beim Aprikosenkaufen. Julia fragt, ob sie fotografieren dürfe. Der jüngere Soldat nickt. Sein Kamerad schüttelt mürrisch und müde den Kopf. Julia filmt trotzdem.
An einem Stand sehe ich leuchtend rote Kirschen. Kirschen aus Daraa sind in Syrien beliebt. Ich kaufe ein Kilo für 25 syrische Lira. Das sind 35 Cent. »Willkommen in Daraa«, feixt der junge Verkäufer. Als er hört, dass wir aus Deutschland sind, fragt er, ob wir ihn nicht mitnehmen könnten.
Kurz bevor wir den Markt verlassen, kommt eine verschleierte junge Frau auf mich zu. Vorsichtig blickt sie sich um. Dann redet sie hastig auf mich ein. Genauso schnell, wie sie gekommen ist, entschwindet sie im Gewühl des Marktes. Es sei schlimm, wie die Menschen hier von der Polizei behandelt würden, übersetzt uns Hakim leise.
Im überdachten Souk kauft Julia einen Seidenschal. Für umgerechnet vier Euro. Ein guter Preis. Ich klopfe dem Verkäufer dankbar auf die Schulter. Schmerzverzerrt zuckt er zusammen. Er zeigt mir seinen bandagierten Arm, den er unter dem Pullover versteckt hat. In der vergangenen Woche sei er auf einer Demonstration gewesen. Die Polizei habe ihn verprügelt. Er sie auch, grinst er zufrieden. Im Hauptberuf sei er Sportlehrer. Das Bekleidungsgeschäft gehöre seinem Bruder.
Ich frage ihn, ob Assad stürzen werde wie Ben Ali oder Mubarak. Er schüttelt den Kopf. Er sei zwar gegen das Regime, aber nicht gegen Assad. Der müsse erst mithelfen, den Konflikt zu lösen. Dann könne er gehen. Die Bevölkerung sei gespalten. Auch die Regierung habe viele Anhänger. Das unterscheide Syrien von Tunesien, Ägypten und Libyen.
Zum Mittagessen besuchen wir ein Restaurant der Altstadt. Es gibt würzigen Humus, knusprigen Lammbraten und leckeres Fladenbrot. Hakim und Julia können noch immer nicht richtig glauben, dass wir uns in Daraa, dem »hermetisch abgeriegelten Zentrum der Kämpfe«, so frei bewegen können. Das muss mit dem Ausweis unseres Fahrers zusammenhängen, meint Hakim. Alle nennen ihn inzwischen bewundernd Arnie. Ich bitte ihn, mir seinen Wunderpass einmal zu zeigen. Aber Arnie hat ihn im Auto vergessen. Außerdem findet er Lammbraten wichtiger als alle Passierscheine dieser Welt.
Zum Nachtisch essen wir unsere Kirschen. Kirschen aus Daraa sind wirklich etwas Besonderes.
Die Festnahme
Nach dem Essen machen wir
Weitere Kostenlose Bücher