Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
einem total zerstörten Panzer kauern. Auf der Straße neben ihnen liegen nackte verkohlte Leichen. Ihre Uniformen sind verbrannt, der Tod hat sie entkleidet. Ein dritter Soldat versucht, die grauenvoll entstellten Körper trotz feindlichen Beschusses mit Tüchern zu bedecken.
Ein vierter Soldat sitzt apathisch mitten auf der Straße. Seine Maschinenpistole hat er auf einen mit Steinen fixierten Autoreifen gelegt. Er feuert auf ein fernes Ziel. »Hör auf zu schießen, du Sohn eines Zuhälters«, brüllt sein Kamerad hinter dem Panzerwrack. »Wir müssen doch erst die Leichen einsammeln.« Ein bizarres Bild eines bizarren Krieges.
Scheherazad
Damaskus war noch immer ruhig. Zwar berichteten die Botschafter aller Länder in grotesker Verzerrung der Wirklichkeit, wie gefährlich ihr Leben hier sei. Doch in Wahrheit war zumindest das Zentrum von Damaskus nach wie vor eine Oase des Friedens. In den Cafés und Souvenirläden der Hauptstadt waren die Menschen gegenüber den wenigen Touristen noch liebenswerter als sonst. Sie schienen entspannt und gelassen. Aber vielleicht war das nur die Ruhe vor dem großen Sturm, der sich im Landesinnern und in den Vorstädten zusammenbraute.
Salem jedenfalls, den wir nach unserer Rückkehr aus Homs doch wieder trafen, war euphorisch. Er war heute mit einer Delegation beim Präsidenten. Er schwebte noch immer im siebten Himmel. Mit verklärten Augen erzählte er von der Warmherzigkeit und Weitsicht seines geliebten Staatsoberhaupts. Stolz zeigte er Fotos von sich mit Baschar Al-Assad.
Wie versprochen habe er ihn über meine Festnahme unterrichtet. Assad habe daraufhin seine PR -Beraterin Scheherazad gebeten, mit mir Kontakt aufzunehmen. Es würde sicher zu einem Gespräch kommen. »Mit Scheherazad oder dem Präsidenten?«, fragte ich. »Mit beiden«, sagte Salem mit leuchtenden Augen. Der Präsident hatte ihn verzaubert. Und wohl auch Scheherazad, die 21-jährige PR -Beraterin, von der Salem fast genauso schwärmte wie von Assad.
Ich nickte abwesend. Mir begegneten ständig Menschen, die mir das Blaue vom Himmel versprachen. Warum sollte das hier anders sein – nach diesem Empfang am Flughafen? Doch einige Tage später fragte Salem immerhin, ob ich bereit sei, Assads PR -Beraterin zu treffen. Natürlich war ich das. Man konnte nie wissen. Treffpunkt war das »Segafredo«, ein hochmodernes italienisches Café in der Nähe des Hotels Four Seasons.
Die junge Dame ließ uns lange warten. Eine halbe, eine Dreiviertelstunde. Nach einer Stunde zog ich meine Jacke an und stand auf. Salem zog alle Register seiner Überredungskunst, um mich aufzuhalten. Es sei eine persönliche Beleidigung des Präsidenten, wenn ich jetzt ginge. Wir seien im Orient, unser Gast sei eine Frau. Mir war das egal. Eine Stunde war zu viel. Und da Salem nichts Klügeres einfiel, verabschiedete ich mich.
In diesem Augenblick stürmte Assads Assistentin ins Lokal. Salems Augen strahlten. Denn Scheherazad war groß, hübsch, attraktiv und schien blitzgescheit zu sein. Und sie flirtete auf Teufel komm raus. Mit Salem, mit mir, mit allen. Man würde ihr viele Berufe zutrauen, nur nicht den, PR -Beraterin des syrischen Präsidenten zu sein. Salem war begeistert. Hatte er sie nicht richtig beschrieben?
Scheherazad lebte seit vielen Jahren in New York. Dort war ihr Vater UN-Botschafter Syriens. Nach Ausbruch der Krise hatte sie sich zusammen mit einigen ebenfalls unpolitischen Freunden bei Assad gemeldet. Sie wollten in der Krise mithelfen. Syrien müsse moderner werden. Mit Assad an der Spitze, sagte sie in breitem Amerikanisch. Assad werde falsch beraten.
Auch deshalb müsse ich mit ihm sprechen. Es sei wichtig, dass ihm unabhängige Menschen aus dem Westen ganz offen die Meinung sagten. Im Grunde liebe er den Westen. Als ich erwiderte, dass ich bei solchen Gesprächen recht undiplomatisch sein könne, meinte sie, genau deshalb müsse der Termin stattfinden. Niemand im Umfeld Assads wage, ihm unbequeme Wahrheiten zu sagen. Assad sei letztlich ziemlich alleine.
Das Gespräch hatte etwas Surreales. Scheherazad war ein blutjunges Mädchen, das die Tücken des Mediengeschäftes gar nicht kennen konnte. Wie sollte sie Assad in Medienfragen beraten? Genauso absurd war: Große Teile der Medienelite der westlichen Welt bemühten sich um einen Termin bei Assad. Doch die Entscheidung darüber traf eine Studentin aus New York. Sie schien jederzeit Zugang zum Präsidenten und seiner Familie zu haben. Sofort nach unserem
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