Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
schummrigen Ecke nehmen wir Platz. Wir bestellen Minztee und eine Schischa-Pfeife. Ein junger Mann setzt sich zu uns. »Heute Abend wird es heftige Kämpfe geben«, sagt der ganz normal gekleidete Rebell leise. »Sie sollten bald abfahren.« Dann erzählt er von der Revolution, von seinen Träumen von Freiheit und seiner Angst vor den Geheimdiensten. »Die Menschen hassen das System. Es ist korrupt und brutal.«
Ich will wissen, wie viel Prozent in Homs hinter den Rebellen stünden. »50 Prozent«, antwortet er. »Es gibt einen furchtbaren Bürgerkrieg, wenn es nicht bald eine Lösung gibt.« Ich staune: Nur 50 Prozent unterstützen den Aufstand von Homs? Doch ich höre diese Zahl in Homs mehrfach. Vor allem von Alawiten und Christen, die hier 40 Prozent der Bevölkerung stellen. Manchmal werden mir sogar deutlich niedrigere Zahlen genannt.
Über unser Handy bitten wir Zuhair zu uns. Falls er Kontakte zum Geheimdienst hat, wird er nicht viel berichten können. Nur dass wir wie üblich darauf bestanden hätten, alleine zu sein. Voll überraschender Eindrücke fahren wir Richtung Hama. Wie soll ich in Deutschland jemandem erklären, dass wir einen halben Tag lang wie normale Touristen durch das umkämpfte Homs spaziert sind? Das Fernsehen zeigt doch täglich ganz andere Bilder. Friedliche Straßen oder Viertel gibt es hier angeblich schon lange nicht mehr.
Auf der Fahrt kommen uns mit Soldaten besetzte dunkelgrüne Busse entgegen. Sie fahren nach Homs. Einige halten ihre Maschinenpistolen aus den Fenstern. Sie wirken müde und abgekämpft. Manche grölen wie Fußballfans vor einem Spiel. Wollen sie sich Mut machen? In irgendeinem Viertel von Homs werden sie demnächst ihre Arbeit, ihr Handwerk verrichten müssen. »Ihre Arbeit ist Töten«, sagt Zuhair. »Sie fahren nach Baba Amr.« Julia ist bleich im Gesicht.
Hama ist weltberühmt für seine malerischen Aquädukte aus der Zeit der Ayyubiden. Hier versteht man sofort, warum die Syrer so stolz auf ihre lange Geschichte sind. Alles verzaubernd geht die Sonne unter. Für ein paar Minuten vergessen wir, dass in der Nähe Krieg ist.
Auch hier empfängt uns das pulsierende Leben der Souks. In einem Schuhladen zeigt uns ein schmächtiger Junge das Handy-Foto seines Vaters. Er ist bei einer Demonstration erschossen worden. Bis morgen will er uns das gesamte Filmmaterial besorgen. Obwohl er Angst hat. Immer wieder schaut er auf die Straße. Als fürchte er, dass plötzlich Soldaten oder Geheimdienstler auftauchen könnten.
Unser Hotel im Zentrum der Stadt muss einmal schön gewesen sein. Doch die acht Monate Aufstand und Krieg haben ihm zugesetzt. In meinem Zimmer ist es bitterkalt. Die Heizung ist abgestellt. Ich ziehe zwei Jacken, zwei Hosen sowie eine Wollmütze an und gehe ins Bett. Dort wickle ich mich in alle Decken ein, die ich finden kann.
Um Mitternacht höre ich in der Stadt eine Explosion und anschließend nicht endende Gewehrsalven. Ich rufe die Rezeption an und frage, was los sei. »Das Übliche«, lacht der Eigentümer, der mir kurz zuvor noch eine friedliche Nachtruhe gewünscht hatte. »Sie können ruhig weiterschlafen.« Ich schlafe weiter, aber unruhig.
Am nächsten Morgen zieht es uns erneut zum Souk. Er scheint das Herz von Hama zu sein. Unseren Fahrer haben wir wieder höflich abgeschüttelt. Tausende Menschen drängen durch die engen Gassen. Es gibt nichts, was es hier nicht gibt. Als Erstes kaufen wir uns mehrere Sätze warmer, langer Unterwäsche. Die Nacht war zu kalt.
In der Gasse der Kesselflicker frage ich einen Jungen mit langen schwarzen Locken, was er von Assad halte. »Ich liebe ihn und werde ihn immer lieben«, antwortet er auf Englisch. »Er ist ein Mann, auf den man sich verlassen kann.« Staunend schauen Julia und ich uns an. Wir sind in Hama, nicht in Damaskus.
Dann suchen wir nach dem Jungen, der uns das Filmmaterial versprochen hatte. Wie findet man jemanden in diesem labyrinthischen, riesigen Souk? Plötzlich begegnen uns in der Menge wissende Augen. Fast unmerklich geben sie uns ein Zeichen. Wir folgen. Wieder landen wir in einem Hinterhof. Er ist groß und hat einen stattlichen Lagerraum. Monitore überwachen das Schuhgeschäft, den Hinterhof, das Lager.
Und sie strahlen Al-Dschasira aus, das in reißerischer Aufmachung ein Gefecht irgendwo in Syrien zeigt. In der Heldenrolle die Rebellen. Mutig kämpfend, sterbend. Der Bericht geht durch Mark und Bein. Sofort sind in meinem Kopf die Bilder von Bizerta, Kairo und Bengasi
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