Du wirst die Schoenste sein
beim Foto-Shooting gewesen war, wusste ich nicht. Er lächelte mir zwar im Spiegel zu, aber es war ein rein professionelles Lächeln, eine eher höfliche Grimasse. Und er schwieg, ebenso wie ich. Ich spürte die merkwürdige Atmosphäre, die sich in dem Raum aufbaute. Ich hatte das Gefühl, als ob René mich verachtete, womit er völlig recht hätte. Ich verachtete mich ebenfalls.
Erst nachdem er die Reste des Klebstoffes aus meinem Gesicht entfernt hatte, machte René zum ersten Mal den Mund auf. Er bot mir ein neues Make-up an. Ich lehnte dankend ab, setzte meine Sonnenbrille auf und band meine Haare zum Pferdeschwanz hoch. Und ich fragte René, ob er mich bis zur nächsten Bushaltestelle mitnehmen könnte.
„Aber klar. Wieso nicht? Ich kann dich auch bis Palma mitnehmen. Ich sag Ernesto nur schnell Bescheid.“ Damit verschwand er, vermutlich um auch gleich sein Honorar zu kassieren, tauchte aber kurz danach wieder auf.
René fuhr einen Mittelklassewagen und ich saß neben ihm und nicht auf der Rückbank, was für mich schon ein Stück Rückkehr in mein normales Leben war.
Er fuhr entspannt im zäh fließenden Verkehr auf der Landstraße, obwohl er, wie er sagte, heute noch drei Kundentermine hatte. Danach war Smalltalk dran, er erkundigte sich, wo ich auf Mallorca lebte. Was ich aber eher unkonzentriert beantwortete, da sich die immer dringendere Aufforderung in meinem Kopf „Tu es endlich! Los, trau dich“ nicht länger ignorieren ließ.
„René, was glaubst du? Wieso macht Ernesto so was?“
„Es ist ein Spiel, mehr nicht. Weißt du doch.“
„Ja, klar. Aber was hat er davon?
René blickte mich an, mit verdrehten Augen. „Mein Gott, was wohl?“
„Ja, okay.“
„Ich denke mal, sein Spiel ist so was wie der Spleen von einem reichen Mann, der vermutlich alles hat und alles auch schon hatte. Geld, Frauen, Sex. Der vermutlich total angeödet in seiner Villa sitzt und für neuen, aufregenden Kitzel weiß Gott was tun würde.“
Ich protestierte heftig auflachend. „Neuer Kitzel? Indem er Männer mit Tiermasken fotografiert, die eine Frau betatschen?
René ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Was dann aber kam, hatte ich nicht erwartet.
„Thea, überleg doch mal. Du kennst die Konditionen seines Spiels. Es geht um Kohle. Und insgesamt nicht wenig. Noch sind es erst wie viel? Tausend, stimmt’s? Und die sind futsch, wenn du jetzt aussteigst. Gut, okay, ich kenn deine Situation nicht, tausend kannst du eventuell verschmerzen. Aber mach noch ein- oder zweimal weiter, meinst du, du steigst dann immer noch aus? Lässt einen Haufen Kohle einfach sausen? Und genau darauf spekuliert Ernesto vermutlich. Er weiß, spätestens in der letzten Spielrunde hat er seine Spielfigur, also dich, völlig in der Hand, kann er mit dir machen, was er will. Ich denke, das ist es, was ihn aufgeilt, die Macht über dich, über eine Frau.“
„Mein Gott, ist das krank“, stieß ich aus.
Wir fuhren am Rand eines Touristenortes vorbei, dessen Namen ich nicht kannte. Die Straße entlang ein Souvenirladen am anderen und davor die überquellenden Ständer mit dem üblichen Schrott. Ich sah ein junges Pärchen, das Händchen haltend dahinschlenderte. Nichts Besonderes also. Eben so wenig wie vermutlich der Sex, den sie hatten. Den ganz normalen, zärtlichen Sex zwischen Leuten, die einander etwas bedeuteten.
„Vergiss nicht, er sucht sich seine Spielpartnerinnen absolut clever aus. Jung, naiv, unschuldig, mies bezahlter Job.“
„Moment ...“
„Thea, mach dir nichts vor. Sein Lebensstandard imponiert dir. Villa, Chauffeur, Riesenparty ...“
Ich versuchte erneut, René zu unterbrechen, aber er bellte mich geradezu an. „Hättest du deinen Arsch auch hingehalten, wenn Ernesto in einem Zwei-Zimmer-Loch hausen würde?“
Ich blickte schweigend nach vorne auf die Straße. René bog scharf in einen Kreisel ein. Rechter Hand mehrere Gebäude. „Porto Pi“ las ich.
„Spiel jetzt nicht die Beleidigte.“
„Da drüben ist ein McDonald’s. Falls du hier irgendwo anhalten kannst ...“
Einige Meter weiter fand sich eine Lücke.
Wir sahen uns an. Ich war ihm noch eine Antwort schuldig. „Das mit dem Arsch hinhalten ...“
„Ach, vergiss es.“
Wir tauschten die obligatorischen Wangenküsse und blickten uns kurz in die Augen. „Danke“, murmelte ich
In der Schlange vor der Theke im McDonald’s ging mir kurz durch den Kopf, dass ich René nicht nach seinem Salon gefragt hatte. Wir würden uns also kaum noch
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