Du wirst sein nächstes Opfer sein: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
des Hergangs nicht mehr in Erfahrung bringen.
»Okay, äh … Okay«, sagte sie. »Sie sind sich sicher, dass es dieser Stein sein soll? Auf Dauer wäre etwas mit flacherem Profil angenehmer zu tragen.« Sie wollte nur Zeit gewinnen, denn sie wusste, dass sie ihn nicht davon abbringen konnte. Und sie wusste auch, weshalb.
»Sie haben ihn doch nicht verloren, Frau Doktor? Das wäre ja mal eine Geschichte für Ihre Online-Freunde.« Obwohl Rosalee keine Kundendaten ausplaudern durfte, folgten ihr massenhaft Leute über Twitter. Ihre Einträge dort waren zwar sehr vage, aber spannend, denn sie machte Andeutungen über die Berühmtheiten, die sie behandelte, ohne ins Detail zu gehen. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte sie jedoch überhaupt nicht getwittert.
»Nein, nein, natürlich nicht. Hier ist er.«
»Gut. Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Größe. Ich bin ein großer Junge und habe einen großen Klunker verdient. Und mir gefällt die Vorstellung, dass ich ihn immer spüren kann und merke, dass er da ist. Wie ein Prüfstein, nicht wahr?«
Erneut schluckte sie. »Und wollen Sie wirklich Lachgas? Ich verspreche Ihnen, dass Sie keinen Schmerz spüren werden.« Eigentlich hätte sie ihn das gar nicht fragen dürfen, denn wenn ein Kunde in der Imago-Klinik Gas wollte, dann gab man es ihm ohne Wenn und Aber und setzte es als stattlichen Extraposten auf die Rechnung. Bisher hatte sich niemand beklagt, dass er es hatte zahlen müssen.
»Ja, verdammt. Ich sehe vielleicht groß und böse aus, aber wenn es um den Zahnarzt geht, bin ich eine kleine Heulsuse. Sie wollen nicht, dass ich bei meiner Größe Panik bekomme und anfange, wild um mich zu schlagen, das kann ich Ihnen versichern.«
Träge grinste er sie an, und ihre Blicke trafen sich. Für einen Sekundenbruchteil erkannte sie in ihm die Bestie, die sich hinter der leutseligen Fassade verbarg und andere Menschen wie ein wild gewordener Stier überrannte. Dieselbe Bestie, die Nancy Hampton in den letzten Momenten ihres Lebens erblickt hatte.
»Kein Problem«, sagte sie.
Sie steckte ihm den Lachgasschlauch in die Nase, damit sie ungehindert an seinem Kiefer arbeiten konnte. Bevor sie den Hahn aufdrehte, stockte sie.
Verlier jetzt nicht die Nerven, sagte die Stimme. Es ist schon fast vorbei.
Daraufhin drehte sie den Hahn auf.
Was du tust, ist richtig. Er ist ein Ungeheuer, er hat seine Frau mit einem Metallteil totgeschlagen, und jetzt hat er ein breites Grinsen im Gesicht. Du hast doch den Artikel in der Variety gelesen und weißt, was er als Nächstes tun wird. Er wird seinen vorzeitigen Ruhestand beenden und als Schurke wieder in den Ring zurückkehren. Indem er als Comicversion des Bösewichts auftritt, der er in Wahrheit ist, wird er Millionen machen und die Welt dabei zum Narren halten. Damit verspottet er nicht nur die Justiz, sondern auch das Leben und sein Opfer. Jemand muss dafür sorgen, dass er dafür bezahlt.
Doch diesmal war es nicht die Stimme der Gerechtigkeit, sondern ihre eigene.
Jack saß in einem Raum voller Schrecken und Schönheit und sinnierte über Kunst. Über Kunst und die Verantwortung des Künstlers gegenüber seinem Publikum, seinem Handwerk und sich selbst.
Früher hatte Jack sich für einen Künstler gehalten. Aber das war, bevor er zum Serienmörder geworden war.
Die Medien hatten ihn den »Closer« getauft. Seine Opfer stellten sich allesamt selbst als Mörder heraus, und wenn Jack mit ihnen fertig war, wurden die ungelösten Mordfälle, für die sie verantwortlich waren, auf einen Schlag aufgeklärt. Denn Jack entlockte seinen Opfern Aussagen: detaillierte Informationen darüber, was sie getan hatten, wem sie es angetan hatten, wann, wo und wie. Für gewöhnlich überließ er diese Informationen zusammen mit der Leiche des Mörders, den er zuvor gefoltert hatte, der Polizei. Trotz seiner abscheulichen Methoden war Jack kein Sadist. Bei seinem Tun empfand er kein Vergnügen, lediglich eine gewisse Zufriedenheit darüber, dass er den Angehörigen der Mordopfer einen Abschluss verschaffte.
Das hatte Jack sich jedenfalls eingeredet. So lange, bis er den Typen geschnappt hatte, der für den brutalen Mord an seiner Familie verantwortlich war.
Der Mann, der Jacks Eltern, seine Frau und seinen Sohn abgeschlachtet hatte, nannte sich Patron, »der Mäzen«, denn er suchte sich seine Opfer ausschließlich unter den Angehörigen von Künstlern. Jack waren Mörder untergekommen, die behaupteten, ihre Taten wären Kunst.
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