Du wirst sein nächstes Opfer sein: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
sich vermehrt hatten. Sogar ihre eigene Mutter war eine gescheiterte Schauspielerin gewesen, und ihr Vater hatte mit seinen Drehbüchern Oscars erlangen wollen, hatte es aber nur zu sporadischen Beiträgen für irgendwelche Sitcoms gebracht. Sie hoffte, dass ihre Kinder einmal in ihre eigenen Fußstapfen treten und nicht dem Beispiel ihrer Großeltern folgen würden. Die Vorstellung, Madeline und Joel würden später einmal ein Leben führen, bei dem sie ständig zurückgewiesen wurden oder unter permanentem Erfolgsdruck standen, war ihr unerträglich. Ein Leben, bei dem man sie jederzeit vernichten konnte.
Doch im Moment hatte sie andere Sorgen. Jetzt ging es erst einmal um eine unmittelbarere Art der Vernichtung.
Sie erhob sich und zog einen weißen Arztkittel über den weiten Pulli. Zwar war es draußen für das eine wie das andere zu heiß, aber wegen der allgegenwärtigen Klimaanlagen war es drinnen so angenehmer. Dann machte sie die Tür zu ihrem Behandlungszimmer auf und ging hinein.
Der Raum wurde von einem mächtigen, gepolsterten und mit rotem Leder bezogenen Liegestuhl beherrscht. Auf beiden Seiten waren auffällige metallene Ablagen angebracht, und darüber hing an einem Ausleger ein Helios-3000-LED-Punktstrahler, der lauerte wie das Auge eines räuberischen, roboterhaften Zyklopen.
Eigentlich hätte ihr Arzthelfer bereits hier sein und alles vorbereiten sollen, aber er würde heute nicht erscheinen. Gestern Abend hatte Rosalee ihn am Telefon gefeuert. Doch selbst da hatte sie noch nicht geglaubt, dass sie tatsächlich durchziehen würde, was sie jetzt vorhatte.
Wie die meisten Ärzte der Imago-Klinik war auch Rosalee eine Spezialistin, wenn auch keine Schönheitschirurgin. Ihr Feld war vielmehr die ästhetische Zahnheilkunde. Promis kamen zu ihr, um sich die Zähne begradigen, aufhellen oder gar anspitzen zu lassen. Rappenden Multimillionären passte sie auch speziell angefertigte, juwelenbesetzte Grills aus Platin oder Gold an die Zahnreihen an.
Heute allerdings nicht. Heute hatte sie einen Kunden, der sich einen Diamanten auf den Schneidezahn setzen lassen wollte, eine relativ einfache Prozedur, für die man normalerweise keine Betäubung brauchte, da der Stein einfach aufgeklebt wurde. Der Kunde hatte jedoch auf einem ganz bestimmten Stein bestanden, dessen Form nicht gerade ideal war. Deshalb würde sie erst eine Fassung in den Zahnschmelz schleifen müssen, um anschließend die überstehenden Kanten mit Füllung zu verfugen.
»Der Zwei-Uhr-Termin ist da.« Sie zuckte zusammen, aber es war nicht die Stimme. Nur die Sprechstundenhilfe, die sie über die Sprechanlage wissen ließ, dass ihre Zeit abgelaufen war.
»Schicken Sie ihn rein.«
Darauf watschelte ein Mann herein, der mit seinen über zwei Metern kaum durch die Tür passte. Er brachte bestimmt hundertfünfundzwanzig Kilo auf die Waage, bestand aber vor allem aus Muskeln. Er hatte eine flache Nase, ein breites Kinn und extrem kurzgeschorene Haare. Bekleidet war er mit einem T-Shirt der Oakland Raiders, weiten grauen Hosen und Ledersandalen. An den Mittelfingern seiner Hände prangte jeweils ein goldener Superbowl-Ring.
»Tag, Frau Doktor«, sagte er. »Alles bereit, um mich noch ein bisschen schöner zu machen?«
Sie schluckte und versuchte, sein Lächeln zu erwidern. »Voll und ganz, Mr. Hampton. Nehmen Sie Platz.«
Äußerst behutsam setzte er sich, da wohl schon so manches Möbelstück unter ihm zusammengebrochen war. »Bitte, Frau Doktor, ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Sie mich Okay nennen sollen. Mr. Hampton ist der Typ, der meine Mutter geheiratet hat.«
Okay Hampton war ein Mann, der zu vielem imstande war und mit mancherlei Berühmtheit erlangt hatte. Zunächst war er als Linebacker erfolgreich gewesen, hatte dann aber als Profi-Wrestler noch größere Erfolge gefeiert. Zu absolut beeindruckendem Ruhm war er allerdings erst als Angeklagter aufgestiegen.
Der lässige, liebenswerte Okay Hampton, der in einer ganzen Serie von Kool-Aid-Werbespots mitgespielt und der sich im Ring »Captain Okay« genannt hatte, hatte seine Frau getötet. Mit einer Hantel hatte er sie bei sich zu Hause totgeprügelt und nachher behauptet, er hätte aus Notwehr gehandelt. Nach einigen Jahren, vielen teuren Anwälten und einem sensationellen Prozess war er wieder auf freiem Fuß. Offenbar glaubten ihm die Geschworenen, dass seine Gattin eine Waffe gezogen und versucht hatte, ihn zu erschießen. Bedauerlicherweise ließ sich ihre Version
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