Duddits - Dreamcatcher
nicht sagen, wo es langgeht.«
Und wieso nicht?
»Weil ich bezweifle, dass es uns gut bekommt, was du vorhast, du Arschgesicht«, sagte Pete, und Jonesy verspürte einen absurden Stolz.
Jonesy sah das Gewächs in Petes Augenhöhle zucken. Pete schrie und hielt sich das Gesicht. Für einen kurzen, trotzdem viel zu langen Moment stellte sich Jonesy bildlich vor, wie sich die rotgoldenen Tentakeln von der Augenhöhle in Petes Hirn vorgruben, wo sie sich wie kräftige Finger um einen grauen Schwamm schlossen.
Mach schon, Pete, sag’s ihm!, schrie Jonesy. Um Himmels willen, sag’s ihm!
Der Byrus gab wieder Ruhe. Pete ließ die Hand von seinem Gesicht sinken, das nun dort, wo es nicht rötlich golden war, Totenblässe zeigte. »Wo bist du, Jonesy?«, fragte er. »Ist da Platz für zwei?«
Die kurze Antwort darauf lautete natürlich nein. Jonesy verstand nicht, was mit ihm passiert war, und wusste nur, dass sein Überleben – dieser letzte Kern von Autonomie – davon abhing, dass er genau dort blieb, wo er war. Wenn er auch nur die Tür öffnete, war es aus mit ihm.
Pete nickte. »Kann ich mir auch nicht vorstellen«, sagte er und wandte sich dann an den anderen. »Aber tu mir nicht mehr weh, du.«
Mr. Gray saß nur da, betrachtete Pete mit Jonesys Augen und versprach gar nichts.
Pete seufzte, hob dann seine verbrannte linke Hand und streckte einen Finger aus. Er schloss das verbliebene Auge und fing an, mit dem Finger zu pendeln. Und während er das tat, verstand Jonesy beinahe alles. Wie hieß das kleine Mädchen? Rinkenhauer, nicht wahr? Ja. An ihren Vornamen konnte er sich nicht erinnern, aber einen so plumpen Nachnamen wie Rinkenhauer vergaß man nicht so schnell. Sie war ebenfalls auf die Mary-M. -Snowe-Sonderschule, die Behindi-Akademie, gegangen, nur dass Duddits damals schon auf die Berufsschule ging. Und Pete? Pete hatte sich immer schon gut Dinge merken können, aber nachdem sie Duddits kennengelernt hatten –
Die Worte fielen Jonesy wieder ein, als er sich in seiner schmutzigen Zelle hinkauerte und hinausschaute in die Welt, die ihm geraubt war … nur dass es eigentlich keine richtigen Wörter waren, nur Vokal-Laute, so eigenartig schön:
Ies uh ieh Inije, Iet? – Siehst du die Linie, Pete?
Pete hatte verträumt-verblüfft-verwundert geguckt und ja gesagt, ja, er sehe es. Und auch damals hatte er diese Bewegung mit dem Finger gemacht, dieses Pendeln, genau wie jetzt.
Der Finger hielt inne, die Fingerspitze zitterte noch nach, wie eine Wünschelrute an einer Wasserader. Dann wies Pete leicht nach rechts auf den Hügelkamm.
»Da lang«, sagte er und ließ die Hand sinken. »Da geht es nach Norden. Genau auf diese Felswand zu. Wo in der Mitte die Kiefer steht. Siehst du?«
Ja, ich sehe. Mr. Gray drehte sich nach vorn und legte wieder einen Gang ein. Jonesy fragte sich kurz, wie viel Benzin wohl noch im Tank war.
»Darf ich jetzt absteigen?« Was natürlich heißen sollte: Darf ich jetzt sterben?
Nein.
Und dann fuhren sie weiter, und Pete hielt sich mit letzter Kraft an Jonesys Mantel fest.
11
Sie umfuhren die Felswand und erklommen die Kuppe des höchsten Hügels dahinter, wo Mr. Gray eine Pause einlegte, damit ihnen sein Ersatz-Leuchtfeuer wieder den Weg weisen konnte. Pete tat das, und dann fuhren sie weiter und folgten einer Route, die leicht nach Westen abwich. Das Tageslicht verschwand zusehends. Einmal hörten sie Hubschrauber – mindestens zwei, vielleicht aber auch vier – auf sich zukommen. Mr. Gray fuhr das Schneemobil ins dichte Unterholz, ohne dabei auf die Zweige zu achten, die Jonesy ins Gesicht peitschten und blutige Striemen auf seinen Wangen und seiner Stirn hinterließen. Pete fiel wieder vom Rücksitz. Mr. Gray schaltete den Motor ab und schleifte den stöhnenden Pete, der kaum noch bei Bewusstsein war, unter den dichtesten der Sträucher. So warteten sie ab, bis die Hubschrauber vorübergeflogen waren. Jonesy bekam mit, wie Mr. Gray kurz mit einem der Besatzungsmitglieder Verbindung aufnahm, ihn scannte und dabei vielleicht die Kenntnisse des Mannes mit dem verglich, was ihm Pete erzählt hatte. Als die Hubschrauber im Südwesten verschwunden waren, anscheinend flogen sie zu ihrer Basis zurück, ließ Mr. Gray das Schneemobil wieder an, und sie fuhren weiter. Es hatte wieder angefangen zu schneien.
Eine Stunde später hielten sie auf einer anderen Erhebung, und Pete fiel erneut vom Schneemobil, diesmal seitlich. Als er den Kopf hob, war ein Großteil seines Gesichts
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