Der Tod soll auf euch kommen
KAPITEL 1
Der Nebel wallte von den oberen Bergregionen herunter, stürzte wie eine leise weiße Flut auf die unteren Hänge und hüllte alles geräuschlos ein. Obwohl nur ein leichter Wind den Nebel so rasch tragen konnte, schien sich kein Lüftchen zu regen.
Die gefräßigen Nebelwolken umgaben schließlich den Schäfer Nessán, der flink den felsigen Hang entlang des reißenden Gebirgsbachs hinablief, der über ihm in den verhangenen Gipfeln entsprang. Als ihn die eisigen Nebelschwaden erreichten, hielt er einen Moment inne, denn plötzlich konnte er kaum noch etwas erkennen. Obwohl er sich in den Bergen gut auskannte, war er froh, daß ihm das Wasser zu seiner Rechten den Weg wies. Es floß erst ins Tiefland und dann weiter nördlich ins Meer. So würde er sich nicht verirren. Eigentlich war es schon ziemlich unüberlegt von ihm gewesen, bei diesem wechselhaften, unberechenbaren Wetter hier umherzustreifen. Schon viele hatten dabei ihr Leben gelassen.
War es aber wirklich so töricht gewesen? Wieder zitterte er, und das nicht wegen der Kälte. Auch wenn der neue Glaube das verurteilte, er hatte den Aufstieg in die oberste Bergregion gewagt, um die alten Götter anzuflehen. Niemandemhatte er seine Absicht anvertraut, nicht einmal seiner Frau Muirgen, obwohl er allein wegen ihr diese Gefahren auf sich genommen und die Drohungen der Priester Christi ignoriert hatte.
Im Morgengrauen war er aufgebrochen, war dem schäumenden Gebirgsbach hinauf gefolgt und hatte den dunklen, schwarzen glatt daliegenden See in der Senke passiert, bis er weiter oben am Bergkamm zu dessen Ursprung gelangt war. Dort ergoß sich das Wasser aus der Quelle in einem imposanten Wasserfall in den See und dann weiter den Berghang hinab. Hier war der oberste Punkt der Drei Senken,
Barr Trí gCom,
die Stelle, an der den Vorfahren zufolge das Diesseits und das Jenseits aufeinandertrafen und die Götter über das Schicksal der fünf Königreiche entschieden hatten.
Der Schäfer Nessán kannte diese Legenden sehr genau, denn die alten Weisen seines Volkes hatten sie stets vor den behaglich flackernden Feuern von einer Generation zur nächsten weitergegeben. An diesem Ort hier hatten auch die Söhne von Milidh mit den alten Göttern und Göttinnen der Kinder von Danu gekämpft, hatten sie besiegt und ins Gebirge getrieben, woraufhin aus den einst mächtigen Gottheiten kleine tückische Dämonen geworden waren. Doch zuvor waren drei Göttinnen von Danu – Banba, Fódhla und Éire – vor den Söhnen von Milidh erschienen. Eine jede erkannte den Sieg der Söhne von Milidh an, aber bestand darauf, daß man dem Land ihren Namen gäbe. Dem wurde entsprochen. Die Dichter priesen es meist als das Land von Banba und Fódhla, doch das einfache Volk nannte sein Land Éire.
Glaubte man den alten Geschichtenerzählern, so waren die Hänge ebenjener Berge einst blutgetränkt, denn der Sieg derSöhne von Milidh war nicht mit leichter Hand errungen worden. Auf diesen Hängen war Scota gefallen, die Tochter von König Nectanebus und Frau von Milidh, und auch ihr Druide Uar war hier gestorben. Fas, die Frau des großen Helden Uige, der dann Herrscher von Connacht wurde, war hier umgekommen, ebenso ihr Druide Eithiar und weitere dreihundert große Krieger, die den Söhnen von Milidh gefolgt waren. Doch es mußten auch zehntausend Anhänger der Kinder von Danu sterben, ehe die Schlacht zugunsten von Milidhs Söhnen entschieden wurde, wie die Legende berichtete.
Diese Hänge waren also mit dem Blut jener ehrwürdigen Kämpfer durchtränkt. Doch nicht das allein machte die Berge abschreckend, so daß die Leute sie mieden, die weiter unten in ihrem Schatten lebten.
Es heißt, daß zu Zeiten von Cormac, dem Sohn von Art dem Einsamen, dem einhundertsechsundzwanzigsten Hochkönig von Tara, die Armee von Dáire Donn, der sich selbst König der Welt nannte, versucht hatte, die fünf Königreiche von Éireann zu überfallen. Die furchterregende Streitmacht war auf der Halbinsel gelandet, auf der sich jenes Gebirge erhob. Cormac hatte daraufhin seinen obersten Feldherrn Fionn Mac Cumhail und seine besten Krieger, die Fianna, ausgesandt. Bei Fionntragha waren sie am Strand aufeinandergetroffen, und Fionn hatte die Feinde bis auf den letzten Mann niedermetzeln lassen.
Auf dem Schlachtfeld hatte sich auch Dáire Donns Tochter, ein Mädchen namens Mis, befunden. Sie hatte unter den Toten die Leiche ihres Vaters entdeckt, das Blut aus seinen Wunden geleckt und war, wahnsinnig
Weitere Kostenlose Bücher