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Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Titel: Dumm gelaufen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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packen!«
    Plötzlich ertönt von der anderen Seite des steinernen Halbrunds ein dünnes Stimmchen, das wie zu sich selbst spricht: »Komme schon, mein Liebling. Komme schon …«
    Pa, der offenbar die ganze Zeit selbstvergessen und von uns unbemerkt auf seinem Platz gesessen hat, erhebt sich mühsam und schlurft auf seinen Stock gestützt an uns vorbei, ohne uns wahrzunehmen. Gespenstergleich durchquert er den Raum und verschwindet schließlich durch die Klappe zu Sphäre  3 und 4 , die sich leise hinter ihm schließt. Schweigen. An Rockys Gesichtsausdruck meine ich zu erkennen, dass er gerade den Geist seiner eigenen Zukunft in Sphäre  3 und 4 hat verschwinden sehen.
    »Was denn jetzt?«, ruft Roxane.
    »Gleich, Schatz!« Rocky bedeutet uns, die Köpfe zusammenzustecken. »Hör zu, Rufus«, flüstert er, »wenn du mir jetzt noch mal erzählst, dass ich den Lauf der Jahreszeiten nicht verändern kann, wirst du selbst den Frühling nicht mehr erleben. Klar?«
    Rufus setzt zu einer Erwiderung an, doch ich schiebe mich schnell zwischen die beiden und hebe beschwichtigend die Klauen: »Ist klar, Rocky«, versichere ich. »Vollkommen klar. Besser, du lässt deine Frau nicht zu lange warten …«
     
    In den folgenden Minuten oder Stunden oder so stelle ich etwas Erstaunliches fest: Der Frühlingsanfang funktioniert in beide Richtungen. Was ich damit sagen will, ist: Man kann darauf warten, dass der Frühling kommt, und zieht dann ins Freigehege, oder aber man zieht ins Freigehege, und das löst dann Frühlingsgefühle bei einem aus. Ist doch irre, irgendwie. Kaum jedenfalls habe ich meine Kammer ausgemistet, meine Laptoptasche aus dem Steinhaus in unseren Bau gezerrt und mein Reggae-Halstuch zum Lüften am Zaun aufgehängt, da kann ich es kaum mehr erwarten, endlich wieder meine morgendliche Runde durch den Zoo zu drehen, allen zu sagen, dass ich zurück bin, und natürlich bei Elsa vorbeizuschauen. Ihr einen schönen Tag zu wünschen. Und vielleicht einen klitzekleinen Hinweis auf die Frage zu bekommen, die mich den ganzen Winter über durch sämtliche Sphären verfolgt und gequält hat: Was ist jetzt eigentlich mit uns?
    Unsere letzte Begegnung, im Herbst, vor dem Umzug ins Steinhaus, gipfelte in einer ersten und einzigen orgiastischen Liebesnacht, bei der – ich gebe es zu – fiese Drogen im Spiel waren. Was nichts daran ändert, dass die Erinnerung an das, was mir davon in Erinnerung ist, umso heller leuchtet, je weiter sich diese Nacht von mir entfernt. Und jetzt? Stehe ich auf unserem Feldherrenhügel, blicke zum Chinchillagehege hinüber, dessen von Raureif überzogenes Kupferdach verträumt im Morgenlicht glitzert, und frage mich, wann Elsa endlich die Zugbrücke ihrer Holzburg herablassen und ans Gitter treten wird. Ich muss zu ihr, muss tun, was ich nicht lassen kann – auch wenn das bedeuten sollte, am ersten Frühlingstag die Abfuhr meines Lebens zu kassieren. Vorher jedoch muss ich darauf warten, dass Opa Reinhard seine letzte Kontrollrunde durch den Zoo absolviert hat.
    Ich trete also ungeduldig von einem Bein auf das andere, drehe Pirouetten, vergeige einen Vorderbeinstand und breche mir beinahe die Lendenwirbel bei dem Versuch, mich in eine Brücke zu stemmen, als Opa Reinhard endlich an unserem Gehege haltmacht und bemerkt: »Na, ihr seid aber früh dran dieses Jahr.«
    »Das kannst du laut sagen!«, entgegne ich und betrachte, wie sich der Dampf meines Atems in der Morgenluft verflüchtigt. »Und weißt du auch, warum?« Weiß er natürlich nicht. Schließlich versteht er kein Erdmännisch. »Lagerkoller! Roxy hat Junge bekommen«, erkläre ich, »und seitdem haben wir einen Pantoffelhelden als Clanchef!«
    Opa Reinhard lächelt milde und schüttelt den Kopf. »Schon quietschfidel, die süßen Dinger.« Dann schlurft er weiter.
    Sobald er in Richtung der Steinböcke aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, stürze ich in den Bau, bahne mir einen Weg zwischen meinen Familienmitgliedern hindurch, die alle emsig unsere Sommerresidenz wieder auf Vordermann bringen, flitze am Headquarter vorbei – wo ich einen entwürdigenden Blick auf Rufus erhasche, wie er in gebeugter Haltung mit einem Feuchttuch die Weinkiste poliert, die uns als Konferenztisch dient – und wühle mich durch unseren leider längst nicht mehr geheimen Geheimgang, um hinter dem Flamingohaus wieder ans Tageslicht zu gelangen.
    Natürlich will ich als Erstes zu Elsa. Die Macht, die mich zu ihr zieht, ist nahezu unwiderstehlich.

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