Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Aber eben nur nahezu. Weshalb ich meinen üblichen Rundgang machen und mir Elsa bis zum bittersüßen Ende aufsparen werde. Nein, logisch ist das nicht und verstärkt die Qual nur noch, schon klar. Aber genau deshalb mache ich es ja. In Liebesdingen sind Erdmännchen eben kein bisschen weiter entwickelt als Menschen.
»Bist du das Erdmännchen, das früher immer plötzlich da war und dann wieder nicht?«
Einer der Flamingos. Hat sich ängstlich bis an die Kante des Hauses herangeschoben, um zu sehen, was dahinter los ist, und schiebt jetzt seinen Kopf wie einen rosa Duschkopf an einem rosa Schlauch um die Ecke. Echt unauffällig.
»Erkennst du mich etwa nicht?«, erwidere ich.
Zögerlich kommt ein Bein des Flamingos hinter der Kante hervor, und ein Stück seines Oberkörpers schiebt sich in mein Blickfeld. »Bin mir nicht sicher.«
»Hey, Ramirez, das gibt’s doch nicht!« Ich winke ihm, als würde gerade meine Fähre ablegen und ich an der Reling stehen. »Ich bin’s: Ray!«
»Ah, cool.« Er zieht sein zweites Bein nach und druckst ungelenk herum. »Und du bist ein Erdmännchen, stimmt’s?«
In diesem Moment kommt mir ein echt gruseliger Gedanke: Wenn es außer Rocky nur noch Flamingos und Einzeller auf der Erde gäbe, dann wäre Rocky das intelligenteste Lebewesen der Welt. Da schüttelt es einen direkt vor Grauen. »Hör zu, Ramirez: Ich hab keine Zeit für lange Erklärungen, okay. Ich bin’s, Ray, das Erdmännchen aus dem Gehege da hinten. Wir haben einen Geheimgang, der hier hinter eurem Haus ins Freie führt. Und ich komme da jeden Morgen raus und mache meinen Rundgang durch den Zoo, okay? Ich hab bloß ein paar Monate Pause gemacht, weil Winter war. Aber jetzt bin ich wieder da.«
Ramirez scheint zu überlegen, ob meine Antwort ausreichend für ihn ist. Dann verschwindet der rosa Duschkopf hinter der Hauswand, während der Rest seines Körpers vor mir stehen bleibt.
»Alles in Ordnung«, höre ich ihn rufen, »ist nur Ray, das Erdmännchen!«
Vom Teich her erschallen die Rufe der anderen: »Ach so!«, tönt es erleichtert. »Alles klar!« »Hab ich ja gleich gesagt!«
Dann fällt dem Flamingo noch etwas ein: »Ich bin übrigens Ramirez!«
»Echt?« »Wow!« »Cool!« Und nach einer Pause: »Also ich finde ja, Ramirez klingt irgendwie nach Zuhälter.«
Das kann Ramirez natürlich nicht auf sich sitzen lassen. »Du bist ja bloß neidisch, weil du nicht so’n schönen Namen hast wie ich.«
»Von wegen!«
»Ach ja, dann sag doch mal: Wie heißt du denn?«
Das ist eines der vielen Probleme mit Flamingos: Sie haben eigentlich keine Namen. Es lohnt einfach die Mühe nicht, ihnen welche zu geben. Zum einen, weil nicht einmal sie selbst sich auseinanderhalten können, zum anderen, weil Informationen jeglicher Art sich im Gehirn eines Flamingos automatisch in Eintagsfliegen verwandeln.
»Das geht dich gar nichts an!«, antwortet deshalb der Flamingo, der vergeblich überlegt, wie er wohl heißen könnte.
»Gib’s doch zu«, bohrt Ramirez weiter, »du weißt gar nicht, wie du heißt.«
»Weißt du’s denn?«
»Nö.«
»Dann kannst du auch nicht wissen, ob mein Name nicht vielleicht noch viel schöner ist als deiner – der übrigens gar nicht schön ist, dein Name, sag ich dir mal im Vertrauen, weil er nämlich total nach Puff und so klingt.«
Ein dritter Flamingo mischt sich ein: »Ich frage mich ja, woher du so gut über Puffs und Zuhälter und so Bescheid weißt.«
Ein vierter fragt: »Hast du etwa mal als Prosti … Prosti … Bist du etwa ’ne Nutte?«
»Hä?«, wehrt sich der Angesprochene. »Seh ich vielleicht aus wie ein Weibchen?«
»Weiß nicht. Bist du eins?«
Eine fünfte Stimme ertönt: »Ich hab gehört, dass es auch männliche Prosti … also Nutten … Dass das auch Männchen machen.«
Das ist der Moment, an dem ich mich an Ramirez vorbei unter den Zweigen hindurchschiebe und endlich, nach all den Monaten, wieder meinen geliebten Kiesweg unter den Klauen spüre.
Ich mache es kurz, die kleine Runde. Die ganz kleine. Elsas Gehege ist ein Hochleistungsmagnet und ich ein verirrter Eisenspan. Schnell bei den beiden Breitmaulnashörnern Ursula und Justus vorbei, anschließend die Tapire, Wölfe und Biber abklappern, schnell noch den Hirschen hallo sagen, und schon bin ich beim Unteren Waldschänkenteich angelangt, wo der Weg zu den Gorillas abzweigt, hinter denen dann gleich – Schock! – Elsas Gehege in Sicht kommt.
Schwer schluckend bleibe ich stehen und
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