Dune - Frühe Chroniken 01 - Das Haus Atreides
unterhalb der Burg Caladan.
Durch Lücken in der Wolkendecke fiel mittägliches Sonnenlicht und spiegelte sich glitzernd auf dem stillen Meer, das sich bis zum Horizont erstreckte. Leto hielt auf der jäh abfallenden Klippe aus Schwarzstein an und schirmte die Augen mit der Hand ab, um zu den Tangwäldern zu blicken, zu den Fischerbootflotten mit den singenden Seemännern und den Riffen, die in gezackten Linien das Meer durchzogen.
Caladan – seine Welt, reich an Meeren und Wäldern, an Ackerland und natürlichen Rohstoffen. Sie befand sich seit sechsundzwanzig Generationen im Besitz des Hauses Atreides. Und jetzt gehörte sie ihm.
Er liebte diese Welt, den Geruch der Luft, das salzige Aroma der Ozeane, den strengen Duft von Tang und Fisch. Die Menschen hatten stets hart für ihren Herzog gearbeitet, und Leto wollte ebenfalls versuchen, sein Bestes für sie zu geben. Was wäre aus den guten Bürgern von Caladan geworden, wenn er das Verwirkungsverfahren verloren hätte? Hätten sie es überhaupt bemerkt, wenn dieses Lehen von der Verwaltung eines anderen Hauses übernommen worden wäre? Beispielsweise vom Haus Teranos, vom Haus Mutelli oder irgendeinem anderen angesehenen Mitglied des Landsraads? Vielleicht – vielleicht auch nicht.
Leto konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, an einem anderen Ort zu leben. Die Atreides gehörten hierher. Selbst wenn er alles verloren hätte, wäre er nach Caladan zurückgekehrt, um den Rest seines Lebens in der Nähe der Küste zu verbringen.
Obwohl Leto wusste, dass er unschuldig war, hatte er immer noch keine Ahnung, was mit den Tleilaxu-Schiffen im Innern des Heighliners geschehen war. Er konnte niemandem den eindeutigen Beweis liefern, dass er die Schüsse, die beinahe einen Krieg ausgelöst hätten, nicht abgefeuert hatte. Gewiss, er hatte ein ausreichendes Motiv für eine solche Tat, und aus diesem Grund hatten die anderen Häuser gezögert, zu seiner Verteidigung zu sprechen, ob sie nun Verbündete waren oder nicht. Hätten sie es getan, hätte man ihnen möglicherweise einen Anteil am Atreides-Vermögen vorenthalten, wenn es nach der Verwirkung aufgeteilt worden wäre. Doch sogar während dieser Zeit hatten viele Häuser vorsichtig zum Ausdruck gebracht, dass sie Leto dafür bewunderten, wie er seine Besatzungsmitglieder und Freunde in Schutz nahm.
Dann war ein Wunder geschehen und Imperator Shaddam hatte ihn gerettet.
Auf dem Rückflug von Kaitain nach Caladan hatte sich Leto ausführlich mit Thufir Hawat unterhalten, doch weder der junge Herzog noch der Krieger-Mentat hatten eine Erklärung dafür, weshalb Shaddam ihm zu Hilfe gekommen war oder warum er solche Angst vor Letos verzweifeltem Bluff hatte. Schon als kleiner Junge hatte Leto gelernt, niemals an die Aufrichtigkeit einer selbstlosen Handlung zu glauben, auch wenn Shaddam vor Gericht eine Erklärung in bewegenden Worten abgegeben hatte. So viel stand fest: Der neue Imperator hatte etwas zu verbergen. Und das hatte irgendetwas mit den Tleilaxu zu tun.
Mit Letos Einverständnis hatte Hawat Spione der Atreides auf verschiedene Welten geschickt, in der Hoffnung, dass sie brauchbare Informationen entdeckten. Doch nachdem der Imperator durch Letos geheimnisvolle Botschaft vorgewarnt war, würde er zweifellos noch vorsichtiger sein als zuvor.
Im Gesamtspektrum des Imperiums war das Haus Atreides immer noch nicht besonders mächtig und hatte erst recht keine Gewalt über die Corrino-Familie. Es gab also keinen offensichtlichen Grund, weshalb es unter dem speziellen Schutz des Imperators stehen sollte. An den Blutbanden konnte es nicht liegen, da viele Mitglieder des Landsraads irgendeine Form der Verwandtschaft zu den Corrinos nachweisen konnten, insbesondere wenn man bis zu den Tagen der Großen Revolte zurückging.
Und wie passten die Bene Gesserit ins Bild? Waren sie Letos Verbündete oder seine Feinde? Warum hatten sie ihm ihre Hilfe angeboten? Wer hatte ihm überhaupt die Informationen über Shaddams Beziehungen zu den Tleilaxu zugespielt? Der codierte Nachrichtenwürfel hatte sich aufgelöst. Leto war es zwar gewöhnt, stets mit unsichtbaren Feinden zu rechnen – aber nicht mit unsichtbaren Verbündeten.
Und es blieb die geheimnisvollste aller Fragen: Wer hatte nun wirklich die Tleilaxu-Schiffe zerstört?
Allein und besorgt verließ Leto die Klippe und lief einen sanft abfallen Weg hinunter, der am Strand aus grauschwarzen Kieseln entlangführte, bis er den verlassenen Kai erreichte. Alle Boote waren
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