Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
schließlich die Gene seines verstorbenen deutschen Vaters – zuständig für Gründlichkeit und Zuverlässigkeit – und einer amerikanischen Mutter, die ihm, wie gar nicht anders zu erwarten, den ewig jugendlichen Charme der Neuen Welt vermacht hatte. Die Tatsache, dass er Toms Eltern niemals kennengelernt hatte, spielte bei seiner Erbanlagentheorie weiter keine Rolle. Den unglückseligen Hang des Jungen zu dieser brotlosen Naturwissenschaft schrieb er insgeheim dem deutschen Elternteil zu. Es war ja bekannt, dass dieses Land von weltfremden Tüftlern durchsetzt war, wenn auch nicht ganz so schlimm wie bei den Briten. Immerhin bauten sie in Deutschland die besten Autos. Mr. Hammonds hauptsächlicher Berührungspunkt mit Deutschland war nämlich sein Mercedes.
Die Wende in Toms Leben kam auf einem ganz normalen Partyeinsatz in New Jersey. Ein wohlhabender Scheidungsanwalt gab an einem Samstag ein sommerliches Barbecue, um die Promotion seiner Tochter als Juristin für internationales Wirtschaftsrecht zu feiern. Der als Barbecue getarnte Lifestyle Event sollte die Chancen einer Anstellung der jungen Dame in einem Unternehmen der Weltspitze erhöhen. Dementsprechend sah die Zusammensetzung der Gästeliste aus. Auch Jim Cohen, ein Golfpartner des stolzen Vaters und Personalvorstand des Forschungslabors von General Compounds, musste seinen freien Samstag auf Drängen seiner Gattin opfern. Auf der Flucht vor dem Small Talk und auf der Suche nach einer ganz gewöhnlichen Flasche Bier verließ er das weiße Festzelt und schlenderte zur Veranda des Hauses.
Dort war es ruhig, nur ein junger Kellner bediente einen erschöpft wirkenden Herrn in einem für ein amerikanisches Barbecue unpassenden dunklen Nadelstreifenanzug. Als Jim näher kam, hörte er, dass die beiden Deutsch miteinander sprachen. Wie die meisten Amerikaner war Jim notorisch einsprachig, mehrsprachige Menschen fanden deshalb immer seine Bewunderung. Er räusperte sich höflich und fragte nach einem Bier. Der Kellner wechselte in akzentfreies Amerikanisch, und keine Minute später tat Jim den ersten tiefen Zug aus einer heimelig ordinären Flasche Budweiser. Er beschloss zu bleiben, man kam ins Gespräch. Der Herr im dunklen Anzug war ein deutscher Staatssekretär namens Dr. Müller-Hautz, einen Vornamen nannte er nicht, wohl aber den Doktortitel. Er hielt sich in New York auf, um für die deutsche Regierung einen außergerichtlichen Vergleich in einer komplizierten Liegenschaftsklage um ein wertvolles Grundstück im Zentrum von Berlin auszuhandeln. Er war in den Genuss der Einladung gekommen, weil ein Volontariat in Berlin oder Brüssel der Tochter des Hauses nicht nur wünschenswert, sondern absolut angemessen erschien. Und die Globalisierung brachte sie Amerika noch näher. Man verstand sich eben in gewissen Kreisen, und die kulturellen Unterschiede fremder Länder waren schon lange zum gefahrlosen Genuss ins Reich der Folklore verbannt. Das alles erklärte ihm der Deutsche in verquastem Englisch, mit starkem Akzent und fahrigen Bewegungen. Jim gab höflich zustimmende Geräusche von sich, während seine Abneigung gegen den versammelten Klüngel wuchs. Um sich abzulenken, aber auch ein wenig aus Neugier wandte er sich an Tom, der in einiger Entfernung Gläser polierte.
„Verzeihen Sie, wenn ich so direkt frage, aber Sie sprechen zwei Sprachen absolut fließend. Gibt es in unserem Land keinen besseren Job für Sie, als hier zu kellnern?”
„Tja, so wie’s aussieht, anscheinend nicht. Ich bin Mineraloge, wissen Sie. Davon braucht man wohl heute nicht so viele.”
Tom zuckte die Schultern, strich sich mit einer kurzen Bewegung das sandfarbene Haar aus der Stirn und reichte ihm eine frische Flasche Budweiser. Jim Cohen und der deutsche Staatssekretär sahen sich betreten an. Beide hatten den unterschwelligen Verdacht, dass dieser junge Kellner, der sie hier bediente, in Wirklichkeit vielleicht ein größeres geistiges Kaliber war als sie beide zusammen genommen. Herr Dr. Müller-Hautz ließ sich mehr aus Verlegenheit denn aus Taktlosigkeit zu der Bemerkung hinreißen: “Well, sssat’s America!”
Aber noch bevor eine Diskussion über die Berufsaussichten von Mineralogen rechts und links des Atlantiks ausbrechen konnte, die Herrn Dr. Müller-Hautz’ amerikanische Sprachfertigkeit definitiv überfordert hätte, traten Jims Ehefrau und die frisch gebackene Wirtschaftsjuristin samt ihren Eltern auf die Veranda. Der deutsche Doktor und Jim wurden
Weitere Kostenlose Bücher