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Dunkle Ernte

Dunkle Ernte

Titel: Dunkle Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mockler
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Gesicht ziehen konnte, sodass nur noch der Schirm des Käppis hervorlugte.
    »Einer steht in der Schlange vor dem Friedhof. Immer wenn er vorn ankommt, entschuldigt er sich und geht über die Straße, verschwindet in einem Laden und stellt sich wieder hinten an.« Er nahm die Hand vom Mund und bemühte sich, nicht nach unten zu schauen. Es musste ziemlich unangenehm für Amanda sein, ihre langen Glieder so zu krümmen, aber sie hielt sich wacker.

    Amanda versuchte ihre Beine zu bewegen, so weit das auf diesem engen Raum möglich war, denn allmählich begannen sie Krämpfe zu plagen. Die Minuten verstrichen quälend langsam. Inzwischen war es nach dreiundzwanzig Uhr und die Straße praktisch menschenleer. Im Café saßen noch ein paar letzte Gäste.
    »Kannst du sie noch sehen?«, fragte sie leise.
    »Zwei stehen rechts und links von der Boulangerie in Hauseingängen. Die anderen zwei sitzen im Auto. Keine Spur von Sir Clive.«
    »Bist du sicher, dass du das durchziehen willst?«, fragte sie, und ihre Stimme klang nervös.
    Jack sagte nichts. Es ging hier nicht darum, ob er das wollte. Es war etwas, das getan werden musste. Er sah auf die Uhr. Der Sekundenzeiger schien sich in Zeitlupe zu bewegen. Unfassbar, dass jemand so etwas zu seinem Beruf machte. Wenn einen der Feind nicht umbrachte, dann die Langeweile.
    »Ich gehe noch mal in das Tabakgeschäft gegenüber«, sagte er schließlich. »Damit sie mich sehen und sich daran erinnern, was ich anhabe.«
    Die MI 6-Agenten sahen der dunklen Gestalt zu, wie sie aus dem Auto stieg und mit hochgezogenen Schultern, die Kappe tief in die Augen gezogen, über die Straße in den Laden trabte, um ein paar Momente später mit einer Packung Kaugummi und einer Wasserflasche wieder herauszukommen.
    »Bist du so weit?«, sagte Jack leise zu Amanda, als er die Autotür geöffnet hatte. »Der Bus kommt.« Beim Einsteigen blickte er in den Rückspiegel und sah große, helle Scheinwerfer auf sie zukommen. Er löste seinen Gürtel, schob sich ruckelnd die Hose über den Hintern, sodass darunter eine zweite, helle Hose sichtbar wurde. Dann streifte er vorsichtig die Kapuzenjacke ab. Der Bus war jetzt fast auf ihrer Höhe.
    »Drei, zwei, eins …«
    Bremsen fauchten. Der Bus hielt direkt neben ihnen, sodass sie von der anderen Seite aus nicht mehr zu sehen waren. Die Türen öffneten sich, und Fahrgäste traten nach draußen. Jack stieg aus den Auto und schlug die Wagentür hinter sich zu, während Amanda eilig aus ihrem Fußraum kletterte und sich am Steuer auf den Fahrersitz zog. Ihre Muskeln schmerzten heftig durch die plötzliche Bewegung, aber dann saß sie an Jacks Stelle, in den gleichen Sachen wie er, unter der Kapuzenjacke einen dicken Pullover, unter dem Hintern ein Kissen. Das Haar hatte sie unter das Käppi geschoben, und das Gesicht lag im Schatten der Schirmmütze verborgen. Der Stellungswechsel hatte genauso geklappt, wie sie ihn geübt hatten.
    Der Bus fuhr wieder an.
    Die MI 6-Agenten behielten den Wagen und die Gestalt hinter dem Steuer fest im Auge. Auf die Fahrgäste, die aus dem Bus stiegen, achteten sie kaum, auch nicht auf den großen dunkelhaarigen Mann im hellen Anzug, der mit schwingender Aktentasche über die Straße auf sie zukam. Gleichwohl war er nicht zu überhören, sein fröhliches Pfeifen – ausgerechnet die Marseillaise – und das Klacken seiner Absätze auf dem Pflaster. Sie bemühten sich, nicht hinzuhören. Nur der Mann im Wagen zählte jetzt. Es war zehn vor zwölf, lediglich noch zehn Minuten bis zum Treffen an der Telefonzelle. So wie es aussah, würde das eine saubere Sache werden, eine Liquidierung wie aus dem Lehrbuch. In dem Augenblick, in dem sich der junge Mann Sir Clive näherte, würden sie ihn ausschalten – Auftrag erledigt.
    Jack riss die auf Pfeile umgebaute Waffe von dem Klebstreifen an der Innenseite seiner Aktentasche. Sie war schwer und unhandlich. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, feuerte er zwei Schüsse in den ersten Eingang und sah im Weitergehen eine dunkle Gestalt rückwärts taumeln. Zwei weitere Schüsse in den zweiten Eingang hatten das gleiche Ergebnis zur Folge. Diesmal hörte er noch, wie das Opfer scharf nach Luft schnappte – die lähmende Wirkung des Serums. Es war offenbar wirklich so tödlich effektiv, wie Monsieur Blanc es beschrieben hatte. Jack bog um die Ecke in die Seitenstraße ein und ging mit gleichmäßigen Schritten auf den geparkten Wagen zu. Wie er vermutet hatte, saßen zwei Männer darin. Ohne

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