Dunkle Ernte
1
Da war ein schmerzhaftes Rumoren in seinem Bauch, eine wirbelnde Übelkeit, wie er sie aus seiner Kindheit kannte, von wilden Achterbahnfahrten auf dem Jahrmarkt. Jack blinzelte, geblendet von gleißender Helligkeit. Wo war er? Schneller als seine Augen passten sich seine Ohren an. Neben ihm piepte es dumpf und elektronisch, gleichmäßig wie ein tropfender Wasserhahn. Er hob den Arm und sah zu, wie verschwommene Umrisse langsam die Gestalt seiner Hand annahmen, wie ein Taucher, der aus tiefem Wasser an die Oberfläche steigt. Ein Plastikclip steckte auf seinem Zeigefinger, Drähte verbanden ihn mit einem nach Krankenhaus aussehenden Apparat. Er drehte den Kopf zur Seite und sah eine schaurige grüne Linie, die bei jedem Ton über den Bildschirm jagte. Ein Herzmonitor.
Das Gewirbel in seinem Bauch nahm zu, tausend Schmetterlinge schlugen panisch mit ihren Flügeln gegen seine Magenwände. Er war in einem Krankenhaus? Wieso? Er rieb sich das Kinn und spürte, dass ihm ein Bart gewachsen war. Stoppeln dieser Länge brauchten zwei, vielleicht drei Wochen. Er hievte sich auf die Ellbogen, gegen den Widerstand von Kabeln und Schläuchen, die unangenehm einschnitten. Gegenüber standen fünf Betten mit bewusstlosen Unbekannten, drei weitere rechts von ihm und eines links. Denk nach, Jack. Denk nach .
Eine Prügelei … Er runzelte die Stirn. Auf dem Rasen vor dem King’s College. Drei Typen aus dem Rugbyteam hatten ihn aus dem Nichts überfallen.
Bruchstückhaft kehrte die Erinnerung zurück. Ein unvermittelter Schlag, feige von hinten in den Nacken, hatte ihn zu Boden gestreckt. Er war schmerzhaft auf seinem rechten Arm gelandet, hatte sich aber instinktiv sofort gedreht, um einem schweren Tritt gegen seine Rippen auszuweichen. Sobald er sich aufgerappelt hatte, ging der Kampf ausgeglichen weiter. Sie waren zu dritt, aber er war groß und kräftig und hatte sich auf den Militärbasen, wo er aufgewachsen war, wesentlich öfter geprügelt als sie in ihren noblen Privatschulen. Zwei schnelle Fausthiebe auf die Kehle und ein Tritt mit der Hacke gegen die Kniescheiben. Dann hatte er sie schmerzgekrümmt zurückgelassen. Sie würden für eine Weile kein Rugby spielen.
Aber das konnte es nicht gewesen sein. Er war mit ein paar blauen Flecken und aufgeschürften Fingerknöcheln davongekommen. Warum hatten sie ihn überhaupt angegriffen? Jack fiel das Denken schwer. Sein Rachen fühlte sich an wie Schleifpapier. Es war wohl nicht zu viel verlangt, sich ein Glas Wasser bringen zu lassen. Schwester, Schwester … Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Niemand antwortete. Schritte hallten über einen fernen Flur. Wo war die Zugschnur, der Alarmknopf? Er tastete um das Bett herum. Nichts. Was war das für ein seltsames Krankenzimmer? Zehn Patienten, aber keine einzige Schwester in der Nähe.
Jack ließ sich zurückfallen und schloss die Augen. Die Betten waren immer noch da, in seine Netzhaut gebrannt wie ein verschwommenes Fotonegativ. Fünf weiße Betten, nebeneinander aufgereiht wie Spielkarten. Das war es. Einmal im Monat hatten sie in den Gewölben der Collegekapelle Poker gespielt, Texas-Hold’em-Variante, und immer um hohe Einsätze. Er hatte gegen die reichen Söhnchen verloren. Wenn er nicht herausbekam, wie sie ihn ausgetrickst hatten, musste er seine Schulden bezahlen – geschah ihm ganz recht. Dummerweise war er mal wieder pleite … War das vielleicht der Grund für den Überfall? Hatten sie die Rugby-Prolls auf ihn gehetzt? Dass er sich zu wehren wusste, konnten sie ja nicht ahnen.
Genug jetzt , brummte er leise und zog sich Kabel und Schläuche vom Körper ab. Ich muss pinkeln . Vorsichtig rutschte er vom Bett. Der Linoleumboden fühlte sich kalt an unter seinen Füßen. Im Flur war es still, unheimlich still. Keine Betriebsamkeit, keine hin und her eilenden Ärzte. Nicht einmal Schilder, die zum Händewaschen aufforderten und die nächste Toilette anzeigten.
Er versuchte es gegenüber, blickte aber nur in einen Wandschrank. Auf dem Weg zur Tür daneben hörte er, wie draußen mit quietschenden Reifen ein Wagen zum Halten kam. Bestimmt ein Notfall. Er hielt inne und horchte auf weitere Geräusche, eine Ankündigung über Lautsprecher, einen Notruf. Doch nichts geschah. Dann tauchte plötzlich ganz am Ende des Flurs ein Mann im weißen Kittel auf.
»He, Doktor, warten Sie!«, krächzte Jack, erleichtert, einen Menschen zu sehen, der bei Bewusstsein war. Allerdings währte die Erleichterung
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