Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
sprach, als sei er ein gewöhnlicher Krimineller, aber er war auch beeindruckt. Nie zuvor hatte er einen noblen alten Geezer gehört, der Mich laust der Affe sagte. Das bestätigte seine Einschätzung, wonach Mister Dickens ein gewiefter Typ war und einem hart arbeitenden Burschen jede Menge Scheußlichkeit bescheren konnte. Vor noblen alten Knackern wie ihm musste man sich in Acht nehmen, sonst fanden sie vielleicht jemanden, der einem die Zähne mit einer Zange bearbeitete, so wie es dem Abdecker Wally widerfahren war, den man wegen eines lumpigen Shillings übel zugerichtet hatte. Deshalb blieb Dodger artig und brav, als man ihn durchs dunkle Haus nach oben in ein kleines Schlafzimmer führte, das durch die Anwesenheit des Doktors, der sich gerade in einer winzigen Schüssel die Hände wusch, noch kleiner wirkte. Der Mann maß Dodger mit beiläufigem Blick, in dem ziemlich viel Verdammung lag, und wandte sich dann an Charlie, der von ihm ein Lächeln geschenkt bekam, wie es reichen Leuten oft zuteil wird. Dodger hatte, wie zu Recht von Charlie angenommen, keine richtige Schulbildung genossen. Stattdessen hatte sein ganzes bisheriges Leben aus Lernen bestanden, was sich als überraschend anders erwies, und er konnte in einem Gesicht deutlicher lesen als in einer Zeitung. [1]
Der Doktor sagte zu Charlie: »Eine üble Sache, Sir, eine sehr üble Sache. Ich habe mein Möglichstes getan, und die Nähte sind mir sehr gut gelungen, wenn ich das sagen darf. Im Grunde ist sie eine recht robuste junge Frau, und das war auch nötig, wie sich herausstellte. Jetzt braucht sie vor allem gute Pflege und den besten aller Ärzte: Zeit.«
»Und natürlich die Gnade Gottes, der von allen am wenigsten dafür verlangt«, sagte Charlie und drückte dem Mann einige Münzen in die Hand. Als der Doktor zur Tür ging, fügte Charlie hinzu: »Selbstverständlich werden wir dafür sorgen, dass die junge Dame zumindest zu essen und zu trinken bekommt. Danke, dass Sie sich um sie gekümmert haben, und gute Nacht.«
Der Arzt warf Dodger einen weiteren finsteren Blick zu und eilte die Treppe hinunter. Ja, wenn man auf der Straße lebte, musste man wissen, wie man ein Gesicht las, kein Zweifel. Inzwischen hatte Dodger Charlies Gesicht zweimal gelesen und wusste daher, dass Charlie den Doktor nicht sonderlich mochte, vielleicht ebenso wenig, wie der Doktor Dodger mochte, und seinem Ton war zu entnehmen, dass Charlie gutem Essen und Wasser mehr vertraute als Gott – einer Person, die Dodger nur vom Hörensagen kannte und über die er fast nichts wusste. Mit der Ausnahme vielleicht, dass Gott viel mit reichen Leuten zu tun hatte. Das klammerte praktisch alle Menschen aus, die Dodger kannte, abgesehen von Solomon, der oft mit Gott verhandelt hatte und ihm gelegentlich einen Rat erteilte.
Als die Leibesfülle des Doktors nicht mehr übermäßig viel Platz in dem kleinen Zimmer beanspruchte, konnte Dodger die junge Frau besser sehen. Er schätzte ihr Alter auf nicht mehr als sechzehn oder siebzehn, obwohl sie älter aussah, was bei Zusammengeschlagenen immer der Fall war. Sie atmete langsam, und er sah einen Teil ihres Haars, das ihm wie Gold erschien. Spontan sagte er: »Nichts für ungut, Mister Charlie, aber hätten Sie was dagegen, wenn ich bis morgen früh über die Dame wache? Natürlich rühre ich sie in keiner Weise an, und ich habe sie wirklich noch nie gesehen, ich schwör’s. Ich weiß nicht warum, aber ich würde gern ein wenig auf sie aufpassen.«
Die Haushälterin kam herein, und der Blick, mit dem sie Dodger maß, bestand aus reinem Hass. Der zweite Blick, der Charlie galt, war glücklicherweise freundlicher. Sie hatte fast so etwas wie einen Schnurrbart, und darunter brummte es. »Ich will nicht vorlaut sein, Sir. Ich habe nichts dagegen, sozusagen eine weitere Weide des Sturms im Haus zu haben, aber für dieses Schmuddelkind übernehme ich keine Verantwortung, wenn Sie gestatten. Ich hoffe, mir macht niemand Vorhaltungen, wenn er Sie heute Nacht alle in Ihren Betten ermordet. Womit ich natürlich niemandem zu nahe treten möchte.«
An solche Leute war Dodger gewöhnt. Leute wie diese dumme Frau hielten jedes Straßenkind für einen Dieb, der einem innerhalb eines Sekundenbruchteils die Schnürsenkel aus den Stiefeln stahl und sie einem dann zum Kauf anbot. Er seufzte innerlich. Natürlich traf das auf die meisten von ihnen zu – auf fast alle, um ganz ehrlich zu sein –, aber das war noch lange kein Grund für solche
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