Dunkle Reise
gefährlich gewesen, aber niemand würde einen von Nathans Ordensrittern behelligen. Niemand war so verrückt. Fürst Nathan war gut darin, die Leute in der Furcht des Herrn zu halten, und als früheres Mitglied der Stadtwache musste ich das begrüßen. Zugleich aber stellte ich mir die Frage nach den Kosten; es gab Gründe, ihn zu fürchten. Ich jedenfalls fürchtete mich vor ihm.
Aber alle waren freundlich. Die Gardisten am Tor winkten uns lächelnd durch. Die Gardisten, die im Park patrouillierten, grüßten uns zwischen den Springbrunnen und den Blumenrabatten und Grotten. Die Gardisten am Palasteingang salutierten lächelnd. Der Hofmeister lächelte, löste den Herold ab und führte uns die Treppe hinauf zu einem kleinen und scheinbar unwichtigen Büro, dann verbeugte er sich, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Im Büro stand ein breiter, schwerer und mit kostbaren Intarsien ausgestatteter Schreibtisch. Ein hoher Lehnstuhl, getäfelte Wände, schwere Vorhänge und ein dicker Teppich vervollständigten die Einrichtung. Offenbar handelte es sich um Graf Ruanes Arbeitszimmer. Zwei Männer waren anwesend. Der Mann, der hinter dem Schreibtisch saß, war Fürst Nathan.
Eumas de Reave war der andere, und er lächelte nicht. Eumas lächelte in letzter Zeit nicht oft. Sein Gesicht war von Sorgenfalten durchzogen und vom Kummer gezeichnet. Nathan hingegen lächelte so breit, dass es beinahe wie ein Zähnefletschen aussah.
»Ser de Castro!«, rief er aus und stieß seinen Lehnstuhl zurück. »Knappe de Parkin! Wir dachten, dass Sie bekommen hätten, was Sie verdienten. Nun erfahren wir zu unserer Verblüffung, dass wir Ihnen noch mehr schuldig sind, als wir wussten.«
Es galt als unhöflich, den Blick vom Fürsten abzuwenden, wenn er zu einem sprach. Das hinderte Silvias und mich nicht daran, einen erstaunten Blick auszutauschen. Wir mussten so schuldbewusst ausgesehen haben wie die Großmutter im Schnapsladen. Nathan brachte es fertig, noch breiter zu lächeln.
Silvus warf Eumas einen Blick zu, und der sah weg, was ihm alles sagte, was er wissen musste. »Ich fürchte, Hoheit«, sagte Silvus vorsichtig, »dass Ser de Reave unsere geringen Verdienste übertrieben dargestellt hat.«
»Unsinn«, lächelte Nathan. »Und sollte er es getan haben, so gereicht es ihm nur noch mehr zur Ehre. Erst heute machte ich ihn mit meinem Entschluss bekannt, ihn für das Verdienst, persönlich den Verräter Ruane niedergemacht zu haben, mit einer Beförderung zu belohnen, als er mir zu meiner Verblüffung erzählte, dass Ruane nicht der einzige Meister Schwarzer Magie gewesen sei, der letzten Winter im Westen in Erscheinung trat. Und nicht der Einzige, der erschlagen wurde.«
Silvus schwieg. »Tatsächlich«, fuhr Nathan fort, »war dieser zweite Magier niemand anders als die Priorin des Ordens der Siegesgöttin. Dieselbe, die den vormaligen Grafen von Tenabra um Hilfe bat. Sie waren Verbündete, zweifellos.«
Mein Mienenspiel muss mich verraten haben. Ich war nie imstande, meinen Gesichtsausdruck so zu beherrschen, wie Silvus es konnte. Aber ich wusste, dass diese Idee unsinnig war.
»Sie möchten etwas dazu sagen, Knappe de Parkin?«, fragte Nathan mit seidenweicher Stimme.
Alle drei sahen mich aufmerksam an. Ich versuchte ein verdutztes Gesicht zu machen, was mir gewöhnlich nicht schwer fiel, wie Silvus sagen würde.
»Ich… ah… bezweifle, dass sie Verbündete waren, Hoheit, schon aufgrund der Entfernung«, sagte ich und verstummte. Vielleicht würde das genügen. Ys lag hundert Meilen westlich von uns an der Küste des Ozeans. Sehr wenige Tenabrer waren so weit durch die menschenleere Wildnis und über die Berge gereist.
»Vielleicht hatten sie eine Form von diabolischer Kommunikation«, meinte Nathan, zog fragend die Brauen hoch und erwartete meine Antwort.
Ich konnte nicht umhin, ein Kopfschütteln anzudeuten, und Silvus blickte mich finster an. Fürst Nathan beobachtete mich geduldig, und ich musste weitersprechen. »Sie hatten gegensätzliche Absichten, Hoheit«, sagte ich.
»Ja? Warum?«
»Die Priorin Merceda stellte eine Armee des Dunkels auf, so viel ist klar. Aber sie wollte, dass der Ansturm dieser Armee an den Mauern von Ys scheitern sollte, damit sie den Sieg als einen Vorwand zur Stärkung des Ordens gebrauchen konnte. Sie war eine gute Kriegerin, eine begabte Ausbilderin in der Gefechtstaktik. Sie wollte eine Streitmacht befehligen, die ihres Talents würdig wäre. Ihres militärischen
Weitere Kostenlose Bücher