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Dunkle Reise

Dunkle Reise

Titel: Dunkle Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Luckett
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war es nass gewesen, und danach waren die Täler und Senken vom Morgennebel erfüllt. Die Straße umging die sumpfigen Talgründe, und das war ein Segen. Sogar eine Eule kann im Nebel nicht sehen. Der einzige Trost war, dass auch Barras durch schlechte Sicht aufgehalten wurde und die Pferde im Schritt gehen lassen musste, um nicht in einen Hinterhalt zu geraten oder von der Straße abzukommen. So würden wir imstande sein, sogar während der Tagesstunden den Vorsprung zu halten.
    Gleichwohl gingen die Tage ineinander über, verschmolzen in der Erinnerung, und nur einzelne Bilder blieben im Gedächtnis haften. Wir stapften weiter, meistens ohne zu sprechen. Ich erinnerte mich, wie ich letztes Mal diesen Weg gegangen war, endlose Steigungen hinauf, über eine Art Hochebene und dann auf einem Rücken über einem tief eingeschnittenen Tal zum Sattel der Passhöhe. Auch verdrängte Einzelheiten traten jetzt ins Licht der Erinnerung: der zermürbende Schmerz in den Oberschenkeln und die Anstrengung, die es kostete, den nächsten Atemzug zu tun, und wie ich auf den Boden vor meinen Füßen gestarrt hatte, um nicht zu sehen, wie unmenschlich lang die vor mir liegende Steigung war. Genauso war es jetzt.
    Während unseres früheren Marsches mussten wir aus einer mehr südwestlichen Richtung gekommen sein, aber die beiden Zugänge liefen zusammen, desgleichen ein Weg aus nordöstlicher Richtung. Der Pass war der einzige Übergang durch das Hochgebirge, und hier bündelten sich die Wege. Plötzlich gingen wir auf einem ausgetretenen Weg, der dem Verlauf der alten Straße folgte, aber offensichtlich öfter begangen wurde. Ich hob den Kopf, als ich die Steigung hinter mich gebracht hatte, hielt Ausschau und blieb stehen.
    »Der Pass«, sagte ich zu Arienne, die ein paar Schritte zurückgefallen und mir mit gesenktem Kopf gefolgt war. Sie blickte auf. Ich streckte den Arm aus.
    Vor uns hatte etwas wie ein titanischer Schwerthieb die Bergkette gespalten, und der keilförmige Einschnitt entsprach dem Orimentpass; die Straße führte jetzt mehr oder weniger gezielt auf ihn zu. Arienne nahm das Bild mit ausdrucksloser Miene auf. Entfernung täuscht immer. Der Pass sah weiter entfernt aus, als er tatsächlich war – das redete ich mir jedenfalls ein.
    Von unserem Standort ging es über eine steinige Hochfläche zu einem Seitenkamm, der aus ihr emporwuchs, in einem langen, allmählichen Anstieg über dessen Flanke aufwärts und zum Sattel der Passhöhe; dann von dort abwärts durch eine schluchtartige Enge, die sich bei der Sperrfeste zum jenseitigen Tal öffnete, einer Burg, die von den Schwestern des Ordens zur Beherrschung des Passüberganges erbaut worden war. Dort würde es eine Garnison geben, und Essen und Gelegenheit zum Ausruhen.
    In unserer Verfassung waren es zwei Tagesmärsche. Wir wurden jetzt langsamer, denn die Steigungen nahmen zu, die Tage schienen kälter und der Wind blies immer von vorn, schnitt wie eine Klinge durch den dünnen Tarnstoff, den wir als Umhang nutzten, und unsere Kleidung. Sogar die Schuhe der Unterirdischen sahen jetzt arg mitgenommen aus. Aber sie würden so lange durchhalten wie wir.
    Der Trost war, dass unsere Traglasten jetzt sehr leicht waren. Im Gehen zog ich den Rucksack von einer Schulter, um darin zu kramen, obwohl ich bis zum letzten Krumen wusste, was darin war: zwei Päckchen Dauerbrot und ein Streifen Dörrfleisch, dazu eine Handvoll Blätter von einer Pflanze, die Silvus als Wildgemüse bezeichnet hatte. Sie waren roh in dem Sinne essbar, dass einem dabei nicht wirklich schlecht wurde. Und wenn man sie gut durchkaute, bis nichts übrig blieb als ein paar faserige, derbe Blattadern, hatte man vielleicht etwas Gutes davon, und der bittere Geschmack sagte einem wenigstens, dass man etwas im Mund hatte.
    Die Straße verlief parallel zum Kamm, leicht ansteigend über den rechten Hang. Durch den Gebirgswall waren wir nun ein wenig gegen den scharfen Westwind geschützt, der uns erst auf dem Sattel der Passhöhe wieder mit voller Gewalt anfallen würde. Der Sonnenuntergang fand uns etwa auf halbem Weg entlang dieses langen, kahlen Kammes, und weit und breit war keine Eule zu finden.
    »Sie sind Bewohner des offenen Buschlandes und der lichten Wälder«, sagte Arienne. »Ich hatte es schon befürchtet. Wir befinden uns hier über der Baumgrenze.«
    So war es. Ich hatte mich am Vortag daran erinnert, als wir durch den dünnen Waldgürtel gestiegen waren, der sich die Gebirgshänge bis fast zur

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