Dunkle Reise
Felsregion hinaufzog. Die Wurzeln der Bäume hielten den Boden fest, der in größeren Höhen durch die Frühjahrsschneeschmelze fortgespült worden war, wo er nicht durch Krummholz, Rasenpolster und Zwergsträucher geschützt war. Vor und über uns ragten die grauen Schrofen und Wände der Gipfelregion. Die Sonne war längst hinter dem Gebirgswall untergegangen, und es wurde empfindlich kalt.
Silvus schnitt eine Grimasse. Es war eine unangenehme Entscheidung zu treffen. Als wir das letzte Mal diesen Anstieg gemacht hatten, war Schwester Winterridge unsere Führerin gewesen, und wir hatten die Strecke bei Tageslicht hinter uns gebracht. Ein paar Stunden vor uns gab es einen geeigneten Lagerplatz, wo der Seitenkamm mit dem Hauptkamm verwachsen war. Dort fiel das Gelände nach rechts steil in eine Rinne ab, durch die ein Gebirgsbach rauschte. Aber es war bereits dunkel. Ohne Licht oder einen ortskundigen Führer würde es schwierig sein, die Stelle zu finden.
»In ungefähr zwei Stunden wird der Mond aufgehen«, sagte ich. Er war im Abnehmen begriffen – drei Tage nach Vollmond. Mehr als zwei Wochen waren wir im Land der Moore und Heiden gewesen. »Solange der Himmel hell und der Kamm zur Linken so klar ist, sollten wir imstande sein, auf dem Weg zu bleiben.«
Silvus blickte hinab in den dunkelnden Abgrund zur Rechten. »Richtig. Aber Vorsicht ist geboten. Ein Fehltritt kann verhängnisvoll sein. Doch das bedeutet, dass wir heute Abend nur etwa zwei Stunden gehen können. Also wird Georghe aufholen. Trotzdem ist es wahrscheinlich das Beste, das wir machen können.« Er blickte auf. Der Himmel klarte auf. Wahrscheinlich würde uns der Mond nützen.
»Was meinst du?«, fragte ich Arienne.
Sie zuckte mit der Schulter, und selbst das fiel ihr offensichtlich schwer. »Ich denke, dass ich, wenn ich mich jetzt hinsetze, später vielleicht nicht hinunterfalle.«
Der Mond half uns schließlich weiter und verbreitete genug Licht, dass wir nicht vom Weg abkamen. Allerdings mussten wir auf ihn warten. Zwei Stunden in der Kälte, und die starke Neigung des Hanges machte es schwierig, ebenen Boden zum Ausstrecken und Ruhen zu finden, denn die Straße war stark erodiert und durch nachrutschendes Geröll vom oberen Hang beinahe ausgelöscht. Als endlich der Mond sein Licht verbreitete, war ich steifgefroren, und Silvus erging es nicht besser. Wir wankten weiter, und nach einer Weile ließ der Schmerz ein wenig nach, als das Gehen auf der Steigung uns wieder erwärmte. Als wir sie schließlich erreichten, erinnerte ich mich an die Stelle. Dort gab es Wasser und genug ebenen Boden für unsere Lagerstätten. Silvus und ich hatten hier schon einmal kampiert, als wir zuletzt diesen Weg gekommen waren. Während der Nacht hatte ein Schneesturm eingesetzt, und wir waren beinahe umgekommen. Sollte es jetzt zu schneien beginnen, würden wir sterben. Wir hatten nichts mehr in Reserve.
Der Wind heulte durch den Pass wie tausend gequälte Seelen. Wir aßen die Reste unseres Proviants, lauschten dem Geheul und fühlten, wie er die Schichten unserer Kleidung durchschnitt, als bestünden sie aus Papier.
»Ein Feuer wäre gut«, meinte Silvus. Aber es war nichts Brennbares in Reichweite, und keiner von uns brachte die Kraft auf, im Mondlicht das steile Gelände nach Brennholz abzusuchen. Nach einer Weile gaben wir auf und krochen in unser Bettzeug. In dieser Nacht retteten uns die Unterirdischen das Leben. Allmählich baute die Körperwärme sich wieder auf und wir konnten schlafen.
Glücklicherweise schneite es nicht. Die Nacht blieb klar und trocken, und am Morgen schien die Sonne. Ich blinzelte in ihr Licht, als ich erwachte, und es lag warm und vergebend wie der Segen einer Göttin auf meinem Gesicht. Vielleicht war es so.
Aber wenn es so war, hatte Silvus nichts davon abbekommen. Er arbeitete sich Flüche murmelnd aus seinem Bettzeug. Arienne schlief noch. Er sah, dass ich mich bewegte.
»Auf!«, knurrte er. Ich schüttelte mich und kam in Bewegung. Er hatte Recht. Es war heller Tag. Wir hatten verschlafen. Georghe musste seit mindestens einer halben Stunde auf dem Weg sein.
Arienne ächzte und öffnete die Augen. Sie seufzte, blickte zum blauen Himmel auf und erschrak. Im nächsten Augenblick wälzte sie sich aus den Decken. Ich blickte immer wieder den Weg zurück, den wir über den Hang genommen hatten, und bildete mir ein, in der Ferne Hufgetrappel zu hören. So nahe vor dem Ziel…
Das Frühstück eines Fuchses besteht aus
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