Dunkle Sehnsucht des Verlangens
Wunden davongetragen. Trotzdem konnte er jedoch
weder eine Spur der Kämpfer noch ihres Blutes am Boden entdecken, als er
endlich Gelegenheit hatte, den Friedhof zu untersuchen. Er sprach nie von
seinem Erlebnis, aus Angst, man würde sich über ihn lustig machen.«
»Möglicherweise hast du dort
etwas entdeckt, nach dem unser Volk seit Jahrhunderten sucht.« Aus Julians
Stimme sprach Anerkennung. »Und der andere Eintrag? Wo hast du den gefunden?«
Zuerst war es die Faszination dieses Geheimnisses gewesen, die Julian in
Bernardos Bann gezogen hatte.
»Nur wenige Zeilen in einer Akte
des Friedhofsaufsehers. Eine persönliche Akte, nichts weiter. Darin erwähnte
er einen seiner Arbeiter, von dem er annahm, dass er eines Nachts zu viel Wein
getrunken hatte. Das Datum stimmte mit dem im Tagebuch des Grafen überein. Der
Aufseher schrieb, einer seiner Männer habe ihm von einem Kampf zwischen Wölfen
und Dämonen berichtet, der in tödlichen Verletzungen endete. Dieser Mann wollte
nicht mehr auf dem Friedhof arbeiten, da er sicher war, dass die Dämonen ihren
Gräbern entstiegen waren.«
Julian nickte. »Ich habe dich
einmal für einen großartigen Mann gehalten. Ich sah zu dir auf, bewunderte
deine Weisheit. Doch du hast mein Vertrauen missbraucht.«
Wieder blinzelte der Vampir, und
war von Julians ruhigem Tonfall verunsichert. »Du suchtest nach Wissen. Ich
gab es dir.«
Julian spürte die Kraft, die
langsam in ihm aufstieg und sich um ihn herum zu ballen schien. Ein Jahrhundert
nach dem anderen, jede finstere, trostlose Nacht, die Sehnsucht nach seinem
Bruder, der Verlust seiner Jugend. All diese Dinge stiegen nun in ihm auf, die
Einsamkeit, die Leere, die Demütigungen, die Hoffnungslosigkeit. Ihm war außer
seiner Ehre nichts geblieben. Sein Prinz und der Heiler seines Volkes hatten
erkannt, dass es ihm wichtig war, für sein Volk von Nutzen zu sein, doch das
Ungeheuer, das jetzt vor ihm stand, hatte den Lauf seines Lebens für immer
verändert.
»Du hast mich zum Tod im Leben
verdammt, Bernardo.« Plötzlich stürzte sich Julian mit übernatürlicher
Geschwindigkeit auf den Vampir, der einen Schritt auf ihn zu machte. Seine
ausgestreckte Hand stieß tief in den Brustkorb des Untoten und nutzte dazu den
Schwung seiner eigenen Bewegung aus. »Ich habe deine Methoden studiert, jeden
einzelnen Mord.« Julian flüsterte die Worte, und in seinen golden schimmernden
Augen brannte ein eigenartiges Feuer. »Du hast mir beigebracht, wie wichtig es
ist, den Feind zu kennen, alles über ihn zu wissen. Ich war ein gelehriger Schüler.«
Julian riss das pulsierende Herz aus der Brust des Vampirs und sprang dann
damit zur Seite. Das schwarze Organ verursachte ihm Übelkeit. Julian hatte
geglaubt, in diesem Augenblick ein Gefühl des Triumphes zu verspüren. Doch dem
war nicht so.
Der Vampir stieß ein hohes,
unheimliches Wutgeheul aus, das Julian in den Ohren schmerzte und alle Tiere
des Waldes in die Flucht schlug. »Du hast gelernt zu töten, weil ich in dir
lebte«, zischte der Untote. »Du wolltest so sein wie ich, hattest aber nicht
den Mut dazu.«
Bernardo stolperte auf Julian
zu, während sein Körper gleichzeitig in sich zusammenfiel. Der Karpatianer trat
einige Schritte zurück. Er wusste, dass die Kreatur noch immer eine Gefahr
darstellte, solange das Herz in der Nähe des Körpers blieb. Er warf es von sich
und ließ es von einem Blitz zu Asche verbrennen. Der Kadaver des Vampirs
zuckte und verspritzte giftiges Blut, das langsam auf Julian zufloss.
Gleichmütig ließ der Karpatianer einen zweiten Blitz in die Leiche des Vampirs
einschlagen, der dann auf das Blut übersprang und alle Spuren von Bernardos
Existenz vernichtete. Zuletzt benutzte Julian die weiß glühende, heilende
Hitze, um seine Hände von dem Gift des Untoten zu reinigen. Und seine Seele.
Es war vorbei. Endlich. Es war
vorbei. Julian wurde plötzlich von einem Kummer gepackt, wie er ihn nie zuvor
gekannt hatte. Eine schreckliche, bedrückende Last lag auf seiner Seele. Bebend
sank er auf die Knie. Der Untote hätte beinahe sein Leben zerstört und ihm
alles genommen. Er hatte Julian glauben gemacht, dass er unbesiegbar war, und
Julian hatte Jahrhunderte damit verbracht, Wissen anzuhäufen und sich auf
diesen Augenblick vorzubereiten. Und nun war es innerhalb von Sekunden vorbei
gewesen. Nur wenige Sekunden. Nachdem der Vampir ihm sein ganzes Leben
gestohlen hatte.
Bernardo hatte Recht gehabt. Er
hatte Julian in etwas verwandelt, das er
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