Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
aschblonde Tönung hatten, und kaufte meine Kleider im Flämisch sprechenden Teil von Belgien, wo selbst elegante Frauen gern Brot und Butter aßen und deshalb eine ähnliche Figur hatten wie ich. Wenn ich neben Leo herging, den Bauch einzog und interessiert lächelte, dann fühlte ich mich wie eine Frau, die mitten im Leben steht. Meistens trafen wir uns in Italien, und dort musterten mich die Männer immer noch sehr aufmerksam.
Aber in Kilbride, in Dublin … Ich hatte zwar erst im September Geburtstag, aber dann wurde ich fünfundfünfzig. Mit fünfundfünfzig begann zwar noch nicht offiziell die zweite Hälfte des Jahrzehnts, aber weit davon entfernt war ich nicht mehr. In Kilbride gab es keine unverheirateten Frauen in meinem Alter,
die beim großen Spiel noch mitspielen wollten. Und falls es doch welche gab, waren sie klug genug, sich nichts anmerken zu lassen.
Das Publikum klatschte jetzt frenetisch Beifall. Wahrscheinlich wollten sich die Leute durch das Klatschen ein bisschen aufwärmen. Leo lächelte mich an, als er aufstand – so lächelte er öfter, und er hatte keine Ahnung, wie anziehend er dann aussah. Musik machte ihn glücklich – jedenfalls die Musik, die komponiert wurde, bevor die Frauen aufhörten, lange Röcke zu tragen.
Ah. Eine Zugabe.
Wir setzten uns alle wieder hin.
Was mich nach Hause lockte, war vor allem ein inneres Bild. Die vernünftigen Argumente, die für eine Rückkehr sprachen, kamen erst an zweiter Stelle.
Falls ich nach Dublin zurückging, um Min zu versorgen, war sie vielleicht bereit, diesem Bild zu entsprechen. Oder auch nicht. Ich mochte ihr Gesicht schon immer – es war klein und blass, mit großen schwarzen Kulleraugen. Min hatte ein Gesicht wie ein Kind. Und ich hatte gesehen, wie dieses Gesicht strahlte, wenn es sich öffnete wie ein Blatt in der Sonne. Doch das war lange her.
Als ich noch klein war – bevor mein Vater starb – fuhren wir jeden Sommer zu dritt in ein kleines Holzhaus nicht weit vom Meer, das »Baileys Hütte« hieß. Diese Hütte lag hinter dem letzten Pier von Milbay Harbour, auf einer Wiese, die aus Gras und Muscheln bestand. Die Mutter meines Vaters, Granny Barry, arbeitete in Baileys Eisenwarengeschäft und arrangierte es deshalb immer für uns, dass wir in diesem Häuschen Ferien machen konnten.
Es gab dort kein fließendes Wasser, also brachten wir immer kanisterweise Leitungswasser mit, um Tee zu kochen; für alles
andere verwendeten wir das Regenwasser aus der Tonne vor der Tür. Zum Beispiel wusch mein Vater mit diesem Regenwasser Min die Haare.
»Ja, stimmt, Ma’am«, sagte er, wenn sie verkündete, heute wäre ein guter Tag, um ihr die Haare zu waschen. Er trug eine Schüssel mit warmem Wasser hinaus auf die Wiese und dann noch einen Eimer mit Regenwasser. Min kniete sich hin, in ihrem alten Rock und ihrem rosaroten Unterhemd, in das für die Brüste zwei spitz zulaufende Kegel eingenäht waren. Mein Vater setzte sich auf eine Kiste, sie legte ihm den Kopf in den Schoß, und er massierte ihr mit den Fingern das Shampoo in die Haare. »Pass bloß auf, dass ich das Zeug nicht in die Augen kriege«, warnte sie ihn. Während sie immer noch mit gesenktem Kopf kniete, stand er auf und goss ihr vorsichtig ein bisschen Regenwasser über den Kopf. Sie zuckte zusammen und schrie: »Aua! Das ist ja eiskalt!« Aber Dad goss unbeirrt weiter. Sie verteilte das Wasser mit den Händen, und er folgte ihren Bewegungen. Schließlich stellte er den Eimer beiseite und wickelte ihr ein Handtuch um den Kopf. Mit blinden Augen blickte sie hoch, und er tupfte behutsam ihr Gesicht ab.
Die Haare ließ sie in der Sonne trocknen, nach vorne gekämmt, sodass sie ihr übers Gesicht fielen, während auf beiden Seiten ihre knochigen Schultern herausguckten. Manchmal bürstete sie sich auch im warmen Hauch des Aladdin-Heizlüfters, der im Zimmer in der Ecke stand, hinter Draht, damit ich ihn nicht anfasste. Ihre Haare wurden dann immer dichter, sie glänzten und vibrierten, als würde der Strom durch sie hindurchgehen.
Mein Vater schwärmte: »Schau nur die Haare von deiner Tante Min an. Sie hat wirklich wunderschönes Haar.« Er klang richtig wehmütig, als würde er über etwas sprechen, das weit in der Vergangenheit lag. Dabei saß sie doch direkt vor ihm und machte auch keine Anstalten wegzugehen.
Ich werde nie vergessen, wie sie aussah, wenn sie ihm ihr Gesicht zuwandte, wehrlos, hingebungsvoll. Er nahm es einen kurzen Moment zwischen beide Hände,
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