Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
Vom Netzwerk:
anstarrte? Was sollte das nützen?
    »Wir müssen aus den Steinpilzen unbedingt ein leckeres Abendessen kochen«, sagte Botta. Der Kommissar antwortete nicht. Ihm war nicht nach einem Abendessen mit Freunden zumute, er wollte vor allem Giacomo Pellissari wiederfinden. Nun musste er aber aufhören, ständig an ihn zu denken. Sich immer nur im Kreis zu drehen war wesentlich ermüdender als die gezielte Jagd nach einem Täter.
    Als sie Poggio alla Croce erreichten, parkten sie mit eingeschalteten Scheinwerfern auf dem feuchten Gras. Doch bald würde die Sonne aufgehen. Die Himmelskuppel schimmerte bereits gebrochen weiß wie eine riesige Eierschale. Casini wechselte die Schuhe, und dann begannen sie ihren Anstieg durch die kalte Morgenluft. Der Pfad führte steil nach oben und war voller Steine und rutschig vom Schlamm. Botta ging voran, der Korb für die Pilze baumelte an seiner Seite. Schon nach einer Minute keuchten beide, und aus ihren Mündern stiegen Dampfwölkchen auf.
    Hinter den Hügeln färbte sich der Himmel grünlich, und die Vögel des Waldes zwitscherten wie wild. In der Luft stand noch ein leichter Nebel, der nach vermoderndem Laub roch. Casini sah im Zwielicht ein feines, mit winzigen Tautropfen besetztes Spinnennetz glitzern, das ihn an einen frühen Morgen im Jahr 1944 erinnerte, als er mit sechs Mann aus seiner Einheit von einem Patrouillengang zurückgekehrt war. In der Dunkelheit hatte er damals genau solche Tröpfchen an einem haarfeinen Faden funkeln sehen, der zwischen zwei Bäumen gespannt war. Aber das war kein Faden eines Spinnennetzes gewesen, sondern ein Draht. Wenn man an ihm zog, löste er eine Springmine aus, eine Antipersonenmine, die vor der Explosion nach oben auf Bauchhöhe schnellt. Er hatte mehrere Kameraden sterben sehen, denen die Splitter den Unterleib aufgerissen hatten.
    »Hier entlang, Commissario«, flüsterte Botta, als könnte sie jemand belauschen. Sie verließen den Pfad und drangen in den Wald vor. Während sie den steilen Hügel hinaufkletterten, stützten sie sich an dünneren Bäumen ab. Casini betrachtete durch die Baumwipfel der hohen Kastanien den Himmel. Beim Anblick der Morgendämmerung überkam ihn ohne besonderen Grund stets tiefe Schwermut. Im Krieg hatte er fast jeden Tag den Morgen anbrechen sehen, und jedes Mal hatte er dabei gedacht, es könnte das letzte Mal sein.
    Der Himmel färbte sich violett, danach orange, und kurz darauf war es Tag geworden. Botta hielt den Blick aufmerksam auf den Boden gesenkt und bog öfter abrupt ab, als folgte er einem unsichtbaren Pfad. Plötzlich blieb er stehen und zeigte auf etwas. Zwischen den Nebelschwaden flüchteten einige Wildschweine geräuschlos den Hügel hinauf, von ihrem dichten Pelz stieg Dunst auf. Für jemanden, der öfter in den Wäldern unterwegs war, war das bestimmt nichts Besonderes, doch der Kommissar spürte, wie ihn eine beinahe kindliche Begeisterung packte. Nur auf seinen Patrouillengängen durch die Hügel hatte er manchmal ein Wildtier zwischen den Bäumen davonrennen sehen, und jedes Mal hatte es ihm einen Stich ins Herz versetzt, wenn er mit dem Maschinengewehr darauf zielte. Jetzt konnte er das Schauspiel einfach nur genießen.
    Sie stiegen weiter hinauf. Botta wurde nicht langsamer, manchmal schien er das Tempo sogar noch anzuziehen. Casini fühlte, wie sein Herz heftig pumpte, und seine Beine waren schon müde. Seine sechsundfünfzig Jahre und die vielen Zigaretten machten sich bemerkbar. Meine Güte, damals, zu den Zeiten der Legion San Marco, hatte er fünfundzwanzig Kilometer am Tag geschafft, und das mit vollem Rucksack auf dem Buckel und der gesamten Waffenausrüstung … Warum musste er nur immer an diesen dreckigen Krieg denken? Konnte er nicht einfach den Spaziergang genießen?
    Manchmal kniete sich Botta hin, um seltsame Pilze zu betrachten – einige waren dünn und schimmerten weißlich, andere dunkel und knollig, und wieder andere wirkten so brüchig, als würden sie bei der geringsten Berührung zerfallen –, dabei runzelte er die Stirn und murmelte die lateinischen oder umgangssprachlichen Namen. Aber stets ließ er sie stehen und stieg weiter den Hügel hinauf.
    »Warum nimmst du den nicht mit? Ist der giftig?«, fragte Casini, der ihm hinterherlief. Botta schüttelte den Kopf.
    »Steinpilze oder gar nichts«, verkündete er feierlich und verstummte wieder. Plötzlich blieb er abrupt stehen und riss die Augen auf.
    »Was ist los?«, fragte Casini beunruhigt. Botta sah ihn mit

Weitere Kostenlose Bücher