Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
gestiegen und hatte im Regen das gesamte Viertel abgesucht. Mehrmals war er die Via Aldini entlanggefahren, eine kleine, wenig belebte Straße, die vom Viale Volta bis zum Anfang der Via di Barbacane führte. Giacomo kannte sie sehr gut. Sein Zuhause lag gleich um die Ecke, und er fuhr hier oft mit seinen Freunden Fahrrad.
Um drei beschloss der Rechtsanwalt, die Polizei anzurufen. Zwei Streifenbeamte waren zum Collegio alla Querce gegangen und hatten den Hausmeister der Schule befragt, Oreste, einen untersetzten kleinen Mann mit schütterem Haar und geröteten Wangen, der bei der Nachricht ganz blass geworden war. Die Beamten hatten ihn gebeten zu erzählen, wie sich alles abgespielt hatte, und Oreste war in seiner Beschreibung sehr genau gewesen: Nach dem üblichen Durcheinander bei Schulschluss war er vor die Tür gegangen, um nach dem Regen zu schauen. Unter dem Torbogen des Eingangsportals war er auf den Jungen gestoßen, der mit dem Ranzen zwischen den Füßen erwartungsvoll auf die abfallende Via della Piazzuola starrte. Er hatte ihn gefragt, ob er nicht seine Mutter anrufen wollte. Giacomo hatte zugestimmt und war dem Hausmeister bis zur Pförtnerloge gefolgt. Er hatte mehrmals die Nummer von zu Hause gewählt, aber dort war immer besetzt gewesen. Der Junge hatte verängstigt gewirkt, und Oreste hatte versucht, ihn zu beruhigen. Bald würde jemand kommen, um ihn abzuholen, er solle sich keine Sorgen machen, daran sei bestimmt dieser Wolkenbruch schuld. Der Junge war wieder nach draußen gegangen, um auf der Straße nachzusehen, und Oreste war ihm gefolgt. Kaum eine Minute später war Giacomo in den Regen hinausgerannt, er war aus dem Mantel geschlüpft und hatte ihn über den Kopf gezogen. Der Ranzen hüpfte auf seinem Rücken auf und ab. Oreste hatte ihm nachgerufen, dass er doch warten solle, er würde ihn nach Hause fahren, aber der Junge hatte nicht auf ihn gehört und war einfach weitergerannt. Der Hausmeister hatte noch einmal versucht, bei Giacomos Eltern anzurufen, aber da war immer noch besetzt gewesen. Schließlich hatte er sich gesagt, dass er sich keine Sorgen machen brauche, und nicht mehr daran gedacht.
Eine Einheit Polizeibeamte hatte die Einwohner befragt, die auf dem Weg von der Schule bis zum Haus der Pellissaris lebten, und auch die Via Aldini miteinbezogen. Nur eine alte Frau hatte von ihrem Fenster aus einen Jungen gesehen, der an der Ecke Viale Volta und Via della Piazzuola durch den Regen rannte, das war so gegen Viertel nach eins gewesen. Die Kleidung, die Farbe des Ranzens und die Uhrzeit ließen keine Zweifel: Bei dem Jungen handelte es sich um Giacomo Pellissari. Die alte Frau war die Letzte, die ihn gesehen hatte, und ihre Aussage hatte jeden Zweifel an der Aufrichtigkeit des Hausmeisters beseitigt. Mehr hatten sie nicht herausgefunden, aber das war zu erwarten gewesen. Als Giacomo die Schule verlassen hatte, war es Mittagszeit, es regnete in Strömen, und jeder kümmerte sich nur um seine eigenen Angelegenheiten.
Die Fotos des Jungen waren in den Zeitungen veröffentlicht und auch in den Fernsehnachrichten gezeigt worden, aber bisher hatte sich niemand darauf gemeldet. Konnte ein Junge einfach so verschwinden?
Als er im Hof des Präsidiums parkte, war es beinahe elf. Mugnai trat aus der Pförtnerloge heraus und lief ihm mit Leichenbittermiene entgegen.
»Guten Morgen, Commissario.«
»Hallo Mugnai, warum bist du denn so gut gelaunt?«
»Mit allem Verlaub, der Polizeipräsident ist stinksauer.«
»Das ist doch nichts Neues«, meinte Casini.
»Er hat mich wie einen Trottel behandelt. Aber was habe ich denn damit zu tun, dass der Junge nicht wieder auftaucht?« Der Beamte war tief gekränkt.
»Nimm es dir doch nicht so zu Herzen, Mugnai«, sagte Casini.
»Der Dottore hat gesagt, dass er Sie sofort sehen möchte.«
»Oje …« Der Kommissar seufzte.
»Machen Sie sich auf etwas gefasst, heute ist er wirklich geladen.«
»Das tut mir leid für ihn. Such doch bitte Piras und sag ihm, dass er zu mir ins Büro kommen soll.« Er winkte Mugnai zum Abschied und ging hinauf in den zweiten Stock, die Zigarette in seinem Mund hatte er dabei nicht angezündet und sich geschworen, dass er sie vor zwölf nicht rauchen würde. Er klopfte an Inzipones Tür und trat ein, ohne ein »Herein« abzuwarten. Als der Polizeipräsident ihn sah, sprang er auf. Seine dunklen Augen glühten wie zwei geröstete Kastanien.
»Sie müssen dieses Kind finden, Commissario!«, brüllte er und fuchtelte
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