Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
Vom Netzwerk:
großen Augen an.
    »Sie werden es nicht glauben, Commissario, aber ich kann Steinpilze riechen, da brauche ich gar nicht jeden Winkel des Waldes zu durchsuchen.«
    »Mach dir keine Sorgen, ich kenne einen ausgezeichneten Psychiater«, sagte Casini trocken.
    »Sie glauben mir nicht, was?«
    »Ich gebe mir alle Mühe.«
    »Da …«, meinte Botta verklärt.
    »Was ist los?«
    »Die Pilze sind dort drüben.« Er zeigte nach oben, und im selben Augenblick war er auch schon davongerannt. Der Kommissar konnte nicht mit ihm Schritt halten, seine Beine waren noch schwer von dem Essen am Vorabend in Cesares Trattoria: Pappardelle mit Hasenragout, danach Schweinerücken mit Kartoffeln und dazu Totòs Wein aus Apulien. Casini sah, wie Botta hinter dunklen Kastanienstämmen verschwand, und stieg mit schweißbedeckter Stirn weiter bergan. Nach einer Viertelstunde kam er an einem breiten Weg heraus und blieb stehen.
    »Ennio … bist du da?«
    »Ich bin hier drüben, Commissario«, hörte er Bottas Stimme. Casini entdeckte ihn fünfzig Meter weiter oben zwischen den Bäumen. Er setzte sich wieder in Bewegung und ging zu ihm.
    »Passen Sie auf, dass Sie sie nicht zertrampeln«, sagte Botta besorgt. Er kniete auf dem Boden und säuberte mit einem ganz normalen Borstenpinsel behutsam dicke Steinpilze. In seiner Nähe gab es die dutzendweise.
    »Dann kannst du sie also wirklich riechen.« Casini war ehrlich überrascht.
    »Habe ich jemals dummes Zeug erzählt, Commissario?« Ennio war ernst und konzentriert. Er bürstete weiter die Pilze ab und wirkte dabei wie der Hohepriester eines archaischen Kultes. Casini blieb nichts übrig, als zu warten, bis er seine Arbeit beendet hatte, daher setzte er sich auf einen Stein. Er ließ seinen Blick zwischen den Baumstämmen umherschweifen und bemühte sich, noch ein Tier auszumachen. Doch das Einzige, was sich bewegte, waren die Blätter, die von oben herabfielen. Sie lösten sich unvermittelt und segelten zu Boden. In dieser friedlichen Stille kehrten die Gedanken des Kommissars wieder zu Giacomo Pellissari zurück, zu seinen verzweifelten Eltern, den langen Gesprächen mit Piras … Konnte ein Junge einfach spurlos verschwinden?
    »Das werden mindestens zwei Kilo sein«, meinte Botta, während er prüfend den Korb hochhob. Er lächelte, als hätte er gerade eine ruhmreiche Schlacht gewonnen.
    »Meine aufrichtige Bewunderung.« Casini seufzte und stand wieder auf.
    »Gehen wir noch ein Stück.« Als sie weiter hinaufstiegen, versanken sie mit den Füßen in welken Blättern, während Amseln aufgeregt zwischen den Bäumen hin und her schwirrten. Sie gingen langsam einer hinter dem anderen. Botta schritt natürlich voran.
    »Ennio, kann ich dich etwas fragen?«
    »Kommt drauf an …«
    »Was machst du denn jetzt so, wovon lebst du?«
    »Rede ich jetzt mit dem Commissario oder mit dem Menschen Casini?«
    »Mit dem Menschen.«
    »Ich mache das, was ich schon immer gemacht habe.«
    »Also Einbrüche und Trickbetrügereien?«
    »Was für hässliche Worte …«
    »Ich kenne keine anderen.«
    »Sagen wir doch einfach, dass ich eine Art Umverteilung von Besitz betreibe, solange es keine gerechteren Gesetze gibt.«
    »Mir kommen die Tränen.«
    »Hier oben können Sie weinen, so viel Sie wollen, ich werde es niemandem erzählen«, sagte Botta und suchte weiter mit den Augen den Boden ab.
    »Warum nimmst du keine normale Arbeit an, Ennio? Ich meine es doch nur gut. Als Gesetzesbrecher hast du nur Pech gehabt, am Ende geht es immer schief.«
    »Ich gehe nie mehr in den Knast, Commissario.«
    »Du könntest doch Koch werden.«
    »Na ja, ich will nicht ausschließen, dass ich früher oder später eine Trattoria aufmache.«
    »Von welchem Geld?«
    »Wenn mir das nächste Ding gelingt …« Plötzlich verstummte Ennio, gab einen tiefen Seufzer von sich und breitete verklärt die Arme aus.
    »Geht es dir nicht gut?«, fragte Casini.
    »Schauen Sie doch mal dort, Commissario. Der erste Kaiserling der Saison.« Botta war sichtlich ergriffen. Eine Art orangefarbene Kugel schaute aus dem Laub hervor.
    »Ich bemühe mich, vor Freude nicht laut aufzuschreien«, meinte Casini.
    »Sie können das nicht verstehen, Commissario. Das ist, als würde man das allererste Mal eine Frau küssen.«
    »Du weißt ja nicht, wovon du redest …«
    »Was für ein Prachtstück«, flüsterte Ennio beeindruckt und drehte den Pilz vorsichtig ab.
    »Wolltest du nicht bloß Steinpilze mitnehmen?«
    »Hier muss es noch mehr davon geben.«

Weitere Kostenlose Bücher