Dunkle Wolken über den Schären: Mittsommerträume (German Edition)
kannst es einfach nicht. Vielleicht gelingt es dir ja eines Tages, deine Vergangenheit wirklich hinter dir zu lassen.” Sie machte eine kurze Pause. “Aber dafür müsstest du erst einmal bereit sein, dich ihr zu stellen.”
“Du verzeihst mir also nicht?”
“Das hat überhaupt nichts mit Verzeihen zu tun. Ich trage dir nichts nach, auch wenn dein Verhalten sehr schmerzhaft war. Doch darum geht es nicht. Ich habe einfach begriffen, dass du nicht aus deiner Haut kannst. Und ich will mich nicht auf einen Mann einlassen, der mir ständig mit Argwohn begegnet.” Sie atmete tief durch. “Ich werde sehen, was ich tun kann, um zu verhindern, dass diese Fotos in die Presse gelangen, aber ich kann dir nichts versprechen. Du hast ja meine Handynummer, wenn du also Hilfe brauchen solltest, bin ich für dich da.”
Magnus nickte steif. Dieses Mal hielt er sie nicht davon ab, zu gehen.
Als Magnus die aktuelle Ausgabe des
Dagsblick
in Händen hielt, lag seine letzte Begegnung mit Jenny bereits fünf Tage zurück. Doch er benötigte das Foto von ihnen beiden, das auf der Titelseite prangte, nicht, um ihr Gesicht mit jedem Detail vor sich zu sehen. Dazu musste er nur die Augen schließen.
Welchen Zauber auch immer sie über ihn gelegt haben mochte, er zeigte Wirkung. Tag und Nacht dachte er an sie. Er konnte nicht mehr schlafen, und an Arbeit war erst recht nicht zu denken. Sein ganzes Leben schien vollkommen aus den Fugen geraten zu sein.
Schon wieder.
Seltsam eigentlich. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war er fest davon überzeugt gewesen, dass ihm nichts Schlimmeres passieren könnte, als in irgendeiner Form in die Öffentlichkeit zu geraten. Nun, wo es tatsächlich dazu gekommen war, berührte es ihn zu seiner eigenen Überraschung kaum noch.
Irgendwie hatte Jenny es geschafft, dass die größeren Zeitschriften nicht über sie berichteten. Der Dagsblick war ein regionales Blatt, daher hielt sich die Aufmerksamkeit, die dieser Artikel auslösen würde, in Grenzen. Trotzdem bestand natürlich Gefahr, dass jemand ihn erkannte und seine Familie informierte. Aber vielleicht hatte Jenny recht: Womöglich war es an der Zeit, dass er sich seiner Vergangenheit stellte, aber allein der Gedanke, Gunnar wieder gegenüberzutreten, schnürte ihm beinahe die Kehle zu.
Ihre letzte Begegnung lag mehr als zwei Jahre zurück, doch die Erinnerung hatte sich förmlich in sein Gedächtnis eingebrannt …
Feiner Nieselregen fiel vom trübgrauen Himmel, als Magnus das Friedhofsgelände durch das hohe schmiedeeiserne Tor betrat. Selbst die Meteorologen sprachen inzwischen von einem ungewöhnlich verregneten Sommer. Die Menschen in Stockholm fanden deutlichere Worte für dieses Phänomen: Für sie war der Sommer schlicht und einfach ins Wasser gefallen.
Magnus gehörte wohl zu den wenigen Menschen, die das schlechte Wetter nicht störte. Ganz im Gegenteil sogar, denn düstere Wolken entsprachen seiner augenblicklichen Gemütslage viel eher als strahlender Sonnenschein. Seit jener schrecklichen Nacht vor vier Wochen hielt ihn eine bleierne Depression umfangen. Er stand zwar nach wie vor jeden Morgen auf und schleppte sich durch die nicht enden wollenden Tage, doch es war nicht mehr dasselbe wie früher. Er fühlte sich wie eine leere Hülle. So, als sei ein Teil von ihm in dem zerstörten Autowrack zurückgeblieben, in dem Sonja ihr Leben verloren hatte.
Sonja.
Ihr Grab befand sich etwas abseits vom Hauptweg im Schutze einer mächtigen Buche. Er konnte den Weg inzwischen fast im Schlaf gehen, so oft war er seit der Beerdigung hier gewesen. Warum, das wusste er selbst nicht so genau. Sonja hatte ihm nicht einmal besonders nahegestanden. Sie war die Frau seines Bruders, und er mochte sie. Sie waren so etwas wie Freunde gewesen, doch von einer wirklich engen Bindung konnte nicht die Rede sein.
Warum also zog es ihn immer wieder hierher, zu ihrem Grab? Fühlte er sich schuldig an ihrem Tod? Sicher, er hatte am Steuer gesessen, als der Unfall sich ereignete, aber die Verantwortung dafür trug nicht er, sondern der Fahrer des entgegenkommenden Wagens, der auf der regennassen Fahrbahn von der Spur abgekommen war.
Mit einem Seufzen fuhr Magnus sich durch das dunkle Haar, das vom Regen schon ganz nass war. Vielleicht brauchte er einfach nur jemanden, dem er sein Herz ausschütten konnte. Welch Ironie des Schicksals, dass er dazu das Grab seiner verstorbenen Schwägerin aufsuchen musste. Er, der für die Sorgen und Probleme anderer stets
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