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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Versehen war, das sie nicht rückgängig machen konnten. Meine Schwestern sind zwei Jahre auseinander. Acht Jahre nach der jüngeren kam ich. Wie konnte meine Mutter sich nach so langer Zeit noch ein Kind wünschen? Doch die Vorstellung, möglicherweise eine unangenehme Pflicht zu sein, läßt mich nicht verzweifeln. Der Gedanke ist zu alt, ich denke ihn schon so lange.
    So lebendig ist diese Erinnerung, daß ich spüre, wie mein Rocksaum mich über dem Knie kitzelt. Ich stehe im gelbgrünen Licht und merke, wie allein ich bin. Niemand begrüßt mich. Ich bin die Kleinste. Habe keine wichtige Beschäftigung. Ich meine nicht, daß mein Vater alles hätte hinschmeißen und mich vielleicht hochheben und durch die Luft schwenken sollen, ich war zu schwer für ihn. Er hatte Rheuma, und ich war mollig und hatte Knochen wie ein Pferd. Das sagte meine Mutter immer. Wie ein Pferd. Es war eben nur Irma, die da kam. Kein Grund zur Aufregung. Die Köpfe, die unmerklichen Bewegungen für den Fall, daß es etwas Wichtiges sein könnte, und dann die Entdeckung, daß es nur Irma war. Wir waren zuerst hier, sagten sie.
    Die Gleichgültigkeit verschlug mir den Atem. Ich hatte dasselbe Gefühl wie damals, als ich Mutter überredete, von meiner Geburt zu erzählen. Sie hatte mit den Schultern gezuckt, aber schließlich zugegeben, daß es mitten in der Nacht gewesen war und daß ein schreckliches Gewitter gewütet hatte. Donner und Sturm. Die Vorstellung, daß ich mit Gepolter und Krach auf die Welt gekommen war, hatte mir gefallen. Aber dann hatte sie mit trockenem Lachen hinzugefügt, daß es nach wenigen Minuten vorbei gewesen sei. Du bist wie ein Kätzchen rausgerutscht, hatte sie gesagt, und das gute Gefühl war verflogen. Ich wartete noch immer, blieb stocksteif stehen. Ich war doch immerhin eine ganze Weile weg gewesen. Alles mögliche hätte passieren können. Wir wohnten schließlich am Meer. In regelmäßigen Abständen legten Schiffe aus fremden Ländern an. Matrosen streunten durch die Straßen und glotzten alles an, was über zehn war. Ja, ich war erst sechs, aber ich war kräftig wie ein Pferd, wie gesagt. Oder ich hätte bei der Gartnerhalle zerschmettert auf dem Asphalt liegen können, wir spielten doch immer auf dem flachen Dach. Später hielten da oben drei Schäferhunde Wache, aber in der ersten Zeit spielten wir dort, und ich hätte herunterfallen können. Oder von den Rädern eines Lkws zerquetscht werden. Manche haben zwanzig Räder, und das hätten nicht einmal meine Pferdeknochen überstanden. Aber sie machten sich keine Sorgen. Nicht deshalb, sondern wegen anderer Dinge. Wenn ich einen Apfel in der Hand hatte – wer hatte mir den geschenkt, denn ich hatte ihn doch wohl nicht gestohlen? Und ich hatte mich doch sicher artig bedankt? Und waren mir vielleicht auch Grüße an meine Eltern aufgetragen worden?
    Mein Gehirn arbeitete fieberhaft, suchte nach einer Aufgabe. Um in der Gemeinschaft, die sie meiner Meinung nach bildeten, aufzugehen. Nicht, daß sie mich ausgesperrt hätten, aber sie luden mich auch nicht ein. Eins kann ich Ihnen sagen: Diese vier Menschen hatten eine gemeinsame Aura. Sie war stark und klar und rotbraun, und sie zitterte kaum, anders als bei anderen. Sie umschloß die vier straff wie Faßdauben. Und ich stand außerhalb, umgeben von einem farblosen Nebel. Die Lösung war, etwas zu tun. Wer beschäftigt ist, kann nicht angezweifelt werden. Mir fiel nichts ein, ich hatte keine Hausaufgaben zu machen, denn ich ging noch gar nicht in die Schule. Also blieb ich stehen und starrte. Ich starrte die gekochte Makrele an und die Bücher, die überall herumlagen. Meinen Vater, der still und sorgfältig arbeitete. Wenn ich doch nur ein Stück von dem weißen Kitt hätte haben können. Um ihn zwischen den Fingern hin und her zu drehen!
    Für eine lähmende Sekunde überkam mich etwas, das ich für wichtig halte. Wichtig, wenn ich mir selbst und Ihnen erklären will, wie das passieren konnte. Das mit Andreas. Ich ahnte plötzlich das gewaltige Regelwerk, das diesen Raum erfüllte. Das in der Stille lag, in den arbeitenden Händen, den verschlossenen Gesichtern. Ein Regelwerk, dem ich mich anpassen und das ich bis aufs I-Tüpfelchen befolgen mußte. Ich stand reglos in der stillen Küche und spürte, wie sich das Regelwerk von der Decke her wie ein Netz über mich senkte. Und die Erkenntnis überkam mich mit Macht: Innerhalb des Regelwerks war ich unangreifbar! Innerhalb dieses klaren Rahmens von Fleiß und

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