Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Namen oft genug genannt und kannte die Reaktion.
»Ist das ein Geheimnis?«
»Nein«, murmelte er.
»Dann spuck’s aus, Junge!«
«Matteus«, flüsterte er.
Schweigen. Die beiden im Auto tauschten einen Blick.
»Ja zum Henker«, rief dann der eine, »das ist ja mal ein fetziger Name! Matteus, meine Fresse. Bibel und überhaupt.« Er schnalzte mit der Zunge. »Woher kommst du, Alter?«
Lachend betrachtete er die schwarzen Locken und die braunen Wangen. Aus seinen Augen leuchtete für einen kurzen Moment eine Sehnsucht, die der Junge nicht erkannte.
»Von da vorn«, sagte er und zeigte auf den Torweg.
»Nein, ich meine, aus welchem Teil der Erde. Du bist doch adoptiert, oder?«
»Scheiß drauf, Andreas«, sagte Zipp und stöhnte. »Laß ihn in Ruhe.«
»Somalia«, sagte der Junge.
»Warum hast du dann keinen norwegischen Namen wie andere Adoptivkinder? Aber egal.« Der Mann schüttelte heftig den Kopf. »Es macht mich einfach fertig, wenn mir Neger oder Chinesen über den Weg laufen, die Petter oder Kåre heißen. Scheiße, das ist doch eine Sauerei!«
Wieder lachte er und zeigte dabei eine Reihe spitzer, weißer Zähne. Matteus verzog den Mund. Als die Menschen, die er jetzt Mutter und Vater nannte, ihn gefunden hatten, hatte er bereits Matteus geheißen. Das war in einem Waisenhaus in Mogadischu gewesen. Und die beiden hatten ihm keinen anderen Namen geben wollen. Manchmal wünschte er sich, sie hätten es getan. Jetzt starrte er einfach nur auf den Torweg, umschloß die Gummibärchentüte mit seiner braunen Faust und warf einen kurzen Blick in das Auto. Dann änderte er seine Richtung und ging über einen Kiesweg auf das fremde Haus zu, in dem er ganz und gar nicht wohnte. Er entdeckte einige aufeinandergetürmte Mülltonnen. Verschwand dahinter und ging in die Hocke. Der Abfall stank, und fast wäre ihm schlecht geworden. Das Auto fuhr weiter. Als er davon ausgehen konnte, daß es außer Sichtweite war, schlich er sich aus seinem Versteck und setzte seinen Weg fort. Er ging jetzt schneller. Sein Herz, das wild gehämmert hatte, beruhigte sich allmählich. Der Zwischenfall hatte ihm ein seltsames Gefühl im Bauch gemacht, eine schwache Vorahnung dessen, was ihn im Leben noch erwartete. Ein Auto kam ihm entgegen. Einen schrecklichen Moment lang glaubte er, die beiden hätten vielleicht gewendet und hielten auf ihn zu. Jetzt wußten sie, daß er nicht hier wohnte, und würden ihn fertigmachen. Sein Herz schlug wieder schneller. Der Wagen hielt auf der anderen Straßenseite.
»Sieh an, Matteus! Schon wieder unterwegs? Du hast wohl nie Ruhe im Hintern, Alter!«
Matteus rannte los. Die Männer lachten und ließen den Motor aufheulen, und dann verschwand der Wagen in Richtung Innenstadt. Es war siebzehn Minuten nach sechs, als er zu Hause die Tür aufmachte.
Zipp und Andreas lebten in der Illusion, einander zu kennen. In Wirklichkeit konnte nur von Wissen um belanglose Kleinigkeiten die Rede sein, darum, was ihnen gefiel und was nicht, wie sie standen und gingen. Außerdem waren beide zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um bei dem anderen nach neuen Seiten zu suchen. Zipp wußte, daß Andreas lieber Bier aus Flaschen mit blauen Kronkorken trank. Daß er gern die Doors hörte und Würstchen ohne Senf aß. Und daß ihm kein Mädchen gut genug war. Was Zipp absolut nicht verstehen konnte. Die meisten Mädchen schauten ihm mit großen Augen nach. Andreas ist zu hübsch, dachte Zipp. Das hatte ihm ein gelassenes, laxes Wesen gegeben, das einen schon provozieren konnte. Andreas hatte etwas Unerschütterliches, etwas Unangreifbares, Träges, und manchmal war Zipp danach, zuzuschlagen oder ihm zumindest ein Bein zu stellen, um ihn einmal aus dem Gleichgewicht zu bringen. Falls das überhaupt möglich war. Ansonsten wußte er, wo Andreas arbeitete und wohnte. Er hatte ihn in seinem Zimmer und an seinem Arbeitsplatz bei Cash & Carry besucht. Zwischen Farbeimern und Brotmessern und teflonbeschichteten Bratpfannen. Es war ein Weiberladen. Andreas war der einzige Junge dort.
Andreas wußte, daß Zipps Vater seit vielen Jahren tot war, Namen und Todesursache allerdings hatte er vergessen. Obwohl Zipp arbeitslos war und dauernd versuchte, bei ihm zu schnorren, war er gern mit ihm zusammen, und außerdem hatte Zipp ein Auto. Das stammte natürlich noch von Zipps Vater, die Mutter konnte nicht fahren. Aber sie bezahlte das Benzin. Sie arbeitete im Schichtdienst in irgendeinem Heim und war fast nie da. Entweder
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