Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
Vom Netzwerk:
1
    Mein Urgroßvater, Sam Morgan Holland, war ein Viehtreiber, der mit den großen Rinderherden auf dem Chisholm Trail von San Antonio nach Kansas zog. Die meiste Zeit seines Lebens kämpfte Urgroßpapa Sam gegen den Whiskey, feindliche Indianer und Viehdiebe, und immer wieder mußte er mit ansehen, wie sich seine aufgescheuchten Herden nach Wolkenbrüchen oder Gewittern über das halbe Oklahoma-Territorium zerstreuten.
    Vielleicht war der schlechte Whiskey schuld, vielleicht auch die Verbitterung über das ständige Pech, durch das er ein ums andere Mal alles verlor, für das er gearbeitet hatte – jedenfalls haderte er jahrelang mit Gott und der Welt und erschoß fünf oder sechs Männer bei Revolverduellen. Dann wachte er eines Morgens stocknüchtern auf, hängte seine Chaps, die Kleidung und die Navy-Colts an einen Baum und ließ sich in den Fluten des Guadalupe taufen. Doch Urgroßpapa Sam fand keinen Frieden. Jeden Sonntag ging er zu einer aus gestampftem Lehm erbauten Baptistenkirche, setzte sich in die vorderste Bank, auf der die trauernden Gemeindemitglieder Platz nahmen, und fühlte sich nach wie vor elend, ohne erklären zu können, warum. Einen Monat später beschloß er, nach San Antonio zu reiten und seine Sehnsucht nach Whiskey auf die einzige Art zu stillen, die er kannte, nämlich so lange zu trinken, bis er all die keifenden Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen gebracht hatte.
    Unterwegs begegnete er einem hohläugigen Prediger, dessen Gesicht von Komantschen nördlich des Cimarron mit rotglühenden Hufeisen gebrandmarkt worden war. Der Prediger ließ Sam im Schatten eines Busches niederknien, legte ihm dann unverhofft die Hände auf den Kopf und weihte ihn. Wortlos lehnte er seine Bibel an Sams zusammengerollten Regenmantel, verschwand in einer Staubwolke über einen Hügel und hinterließ auf der anderen Seite keinerlei Spuren.
    Fortan zog Urgroßpapa Sam durch die Lande und predigte vom Sattel aus in den gleichen Weidelagern, die seine Herden einst kurz und klein getrampelt hatten, als er noch Viehtreiber gewesen war.
    Sein Sohn Hackberry, in unserer Familie auch als Opa Big Bud bekannt, hatte als Texas Ranger gegen Pancho Villa gekämpft und ihn bis tief nach Mexiko hinein verfolgt. Als junger Ordnungshüter sperrte er John Wesley Hardin ins Bezirksgefängnis, und er trug auch Jahrzehnte später noch den Stern an seiner Brust, als er Clyde Barrow in einem Stadtteil von Dallas, der einst »The Bog«, der Sumpf, genannt wurde, kopfüber in eine Mülltonne steckte.
    Aber Opa Big Bud stellte stets klar, daß er nicht dabeigewesen war, als Bonnie Parker und Clyde Barrow in Arcadia, Louisiana, mit ihrem Auto in einen Hinterhalt gerieten und von Texas Rangern mit Browning-Maschinengewehren und 45er Thompson-Maschinenpistolen buchstäblich zerfetzt wurden.
    »Meinst du nicht, daß sie es darauf angelegt haben?« fragte ich ihn einmal.
    »Man darf nicht vergessen, daß sie noch halbe Kinder waren. Wenn du einen Halbwüchsigen nicht festnehmen kannst, ohne hundertmal auf ihn zu schießen, bist du meiner Ansicht nach ein armseliger Ranger«, sagte er.
    Mein Großvater wie auch sein Vater waren gewalttätige Männer. Ihre Augen wirkten seltsam versonnen, wie in weite Ferne gerichtet, ein eigenartiger Ausdruck, den man unter Soldaten den Tausendmeterblick nennt, und die Geister der Männer, die sie getötet hatten, suchten sie im Schlaf heim und standen Wache an ihrem Totenbett. Als junger Polizist in Houston schwor ich, daß ich mir ihr Vermächtnis niemals zu eigen machen würde.
    Aber wenn man Trinker in der Familie hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß man den gleichen Kelch leert wie sie. Nicht immer muß der Kampf, der in einem tobt und im Morgengrauen stets aufs neue aufflackern kann, mit dem Stoff, der aus alten Eichenfässern stammt, geschürt werden.
    Ich wohnte allein in einem zweistöckigen spätviktorianischen Haus aus dunkelroten Ziegeln, das zwanzig Meilen außerhalb von Deaf Smith lag, dem Verwaltungssitz des Bezirks. Das Haus hatte eine Veranda im ersten Stock, eine breite, mit Fliegengitter umgebene Galerie, und sämtliche Balken und Holzteile waren strahlendweiß gestrichen. Der vordere und der hintere Garten waren mit Pappeln und Lorbeerbüschen umfriedet, die Blumenbeete mit roten und gelben Rosen bepflanzt.
    Ich bereitete auf der Galerie große Krüge mit Eistee zu, grillte unter dem Maulbeerbaum im Garten Steaks für meine Freunde und angelte manchmal mit einer Horde

Weitere Kostenlose Bücher