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Dunkler Winter

Dunkler Winter

Titel: Dunkler Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Luckett
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glänzenden Gegenstand am Boden leuchtete, veränderte sich, nahm Gestalt und Farbe an. Plötzlich stand dort ein Mann, und wenn seine Füße auch nicht ganz den Boden berührten, schien er so wirklich und solide wie ein Felsen.
    Die Hofgesellschaft kam in Bewegung, wich zurück und drängte sich an den Wänden. Das war Unterhaltung, wahrhaftig.
    Der Mann war bewaffnet und gepanzert. Das altmodi sche Kettenhemd bedeckte ihn vom Hals bis zu den Knien und an einem Arm trug er einen von Schwert hieben und Lanzenstichen genarbten und zerschroteten Langschild. Er stützte sich auf ein Langschwert mit ge radem Steg. Es war schartig und blutig. Blut befleckte auch das Kettenhemd unter seinen Rippen.
    An der Tür hinter mir war es ruhig geworden. Sie hat ten ihre Versuche aufgegeben und würden jetzt außen um den Saal eilen.
    Der Mann vor dem Podium nahm den Spangenhelm ab und zog seine Haube zurück, um das Gesicht zu befreien. Er ließ den alten, konischen Helm mit dem Nasenschutz fallen, erreichte aber den Boden nicht, sondern verlor rasch an Substanz und verschwand lautlos im Nichts. Als der Mann sich aufrichtete, schwang er den Schild seit wärts, und ich konnte die Heraldik darauf sehen. Auf blauem Grund war ein goldener Greif dargestellt, der seine Beute in den Krallen hielt. Blau, ein goldener Greif. Ich brauchte das gestickte Wappen auf meiner Brust nicht zu überprüfen. Ich sah es jeden Tag. Das Wappen der Stadt und der Grafen von Tenabra.
    Der Mann stand auf das Schwert gestützt und sprach. Es war, als hörte ich ihn durch einen Sturmwind, wäh rend unregelmäßiges Prasseln windverwehter Regentrop fen seine Worte untermalte: »Allen, zu denen diese Gegen wart kommen wird, Grüße. Hört mich an und wisset, dass ich, Constans, Graf Tenabra, dem Orden der Siegesgöttin fiir Leben und Person verpflichtet bin, und mit mir jene von uns, die heute auf dem Feld von Gynost stehen. Ich gelobe und erkläre hier, dass wir dem besagten Orden der Siegesgöttin wie unse rem Oberherrn Dienst und Pflicht schulden. Die Verpflichtung meiner Person erstreckt sich auf ein Quartal Ritterdienst mit einem Gefolge von drei Lanzenreitern. Dieser Dienst wird wie der Dienst an unserem Oberherrn fällig, wenn der besagte Orden seiner bedarf. Und bis dieser Dienst geleistet ist, werde ich mich – wie auch meine Erben sich – gemäß dem Gesetz an die Verpflichtung gegen den besagten Orden gebunden fühlen. So sage ich und nehme es auf meinen Eid.«
    Das Gesicht des Mannes war steif und ohne erkennbare Gefühlsregung. Aber nun verlor es seine gemeißelte Härte und ein grimmiges Lächeln hellte seine Miene auf. »Sorgt dafür, Sohn, Enkel, wer immer Ihr seid, oder meine Seele wird nicht zur Ruhe kommen. Es ist wohlverdient und beschworen. Ihr würdet jetzt nicht leben, wären sie nicht ge wesen.«
    Die Gestalt wurde von Riffeln durchlaufen, verlor ihre scharfen Konturen. Ein Seufzen wurde hörbar und die Kerzen der Kronleuchter flackerten. Dann war er fort.
    Totenstille im Ballsaal. Die Hofgesellschaft hielt den Atem an. Warum auch nicht? Soeben hatte ein Mann zu ihnen gesprochen, der seit zweihundert Jahren tot war.
    Hrudis bückte sich und hob den Zauberstein auf – ich wusste jetzt, was es war – und steckte ihn in ihre Börse. Ihr ruhiger Blick hob sich zum Gesicht des Mannes auf dem Podium.
    Die Stille zog sich hin. Der Graf blickte von der Stelle, wo sein Vorfahr gestanden hatte, zum Gesicht der Schwert jungfrau. Seine Augen wurden schmal und er hob das Kinn. Er hielt sich jetzt gerader, als hätte er aus dem Anblick seines Familienwappens frische Kräfte bezogen. Er legte eine Hand an den Schwertgriff und seine Stimme drang klar durch den weiten Raum. »Was wünschen Sie von mir, Schwester?«
    Ihr Blick begegnete seinem. »Das zu sagen, ist Sache Eurer Ehre, Durchlaucht. Der Orden ist kein Schuldenein treiber, der gekommen ist, Euch zu mahnen.«
    Er legte den Kopf auf die Seite, blickte nach links. In der Hofgesellschaft entstand Bewegung.
    »Und doch kamen Sie deshalb hierher«, erwiderte eine Stimme.
    Das war nicht die Stimme des Grafen. Sie war tiefer, ein dunkler Bariton. Fürst Nathan.
    Er stand neben der entfernteren Tür und war anschei nend eingetreten, als Constans seine Ansprache gehalten hatte. Nicht groß, nicht klein, jung, dunkelhaarig und von olivenfarbener Haut, vollkommen gekleidet in einen goldbestickten schwarzen Überrock mit Rüschenkragen und geschlitzten Puffärmeln und ebenso geschlitzten Kniebundhosen.

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