Dunkles Begehren
denn du selbst bist
es nicht. Ich hätte dich niemals aufgegeben, ebenso wenig wie ich dich jetzt
aufgeben werde. Allein du bist mir wichtig. Ich sah deine Erinnerung an diesen
Tag vor vielen Jahrhunderten. Ich ging durch ein Dorf wie alle anderen. Zwar
empfand ich etwas Ungewöhnliches, doch meine Gedanken waren zu sehr mit dem
Krieg beschäftigt. Ich blickte mich um und entdeckte einige Frauen, doch ich
sah sie nicht wirklich an. Die Gesichter von Frauen und Kindern verfolgten
mich bis in meine Träume, sodass ich es vermied, sie direkt anzusehen. Als mein
Bruder mit mir sprach, drehte ich mich um. Wenn ich dich gesehen hätte, wären
unsere Leben ganz anders verlaufen. Zwar habe ich eine Pflicht zu erfüllen,
doch damals hätte ich alles aufgegeben. Ich hätte Lucian im Stich gelassen.«
Francesca musterte
Gabriel aufmerksam und schüttelte dann mit einem leisen Lächeln den Kopf.
»Nein, du hättest dein Glück für das Wohlergehen unseres Volkes geopfert.«
»Aber nicht deines.
Du verstehst es noch immer nicht. Niemals hätte ich dein Glück geopfert. Ich
verabscheue mich für die Dinge, die du erleiden musstest, für den Kummer und
die Zurückweisung.«
»Damals war ich
noch ein Kind, Gabriel, keine Frau. Mein Leben war sinnvoll und erfüllt. Jetzt
bin ich müde, doch das bedeutet nicht, dass ich mein Leben nicht genossen
hätte. Ich habe alles getan, um ihm einen Sinn zu geben. Andere Frauen unseres
Volkes werden niemals die Erfahrungen machen, die ich gesammelt habe. Ich war
unabhängig und genoss es. Ja, ich sehnte mich nach einer Familie, doch ich war
auch ständig mit anderen Dingen beschäftigt. Es war kein trostloses Leben. Und
ich hatte immer die Wahl. Ich hätte mich dir zeigen können. Ich hätte der
Morgendämmerung begegnen können. Ja, es wäre mir sogar möglich gewesen, in
meine Heimat zurückzukehren, um bei unserem Volk und unserer heilkräftigen Erde
Trost zu suchen. Doch ich entschied mich dagegen. Und es war meine
Entscheidung, nicht deine. Ich bin eine starke Frau, kein Kind, das sich im
Schatten zusammengekauert hat. Ich handelte immer nach meinem freien Willen.
Ich bin kein Opfer, Gabriel. Also versuche bitte nicht, es mir einzureden.«
»Du liebst Brice
nicht, sondern bewunderst ihn nur. Euch verbindet etwas. Du respektierst die
Art, wie er mit den Kindern umgeht und sich auf seinen Beruf konzentriert.
Doch du hegst ihm gegenüber auch große Bedenken.«
»Das stimmt nicht«,
protestierte Francesca heftig. »Warum glaubst du das?«
»Wenn es nicht so
wäre, Francesca, hättest du Brice längst geheiratet. Ich habe deine Gedanken
gelesen ...«
»Dann hör auf
damit.«
»Das ist nicht so
einfach, Liebste. Tatsächlich verlangst du etwas Unmögliches von mir. Es
gefällt dir nicht, wie Brice die Patienten behandelt, die kein Zuhause oder nur
wenig Geld haben. Du magst es nicht, dass er in der Lage ist, seine Patienten
völlig zu vergessen, nachdem er sie behandelt hat. Es gibt viele Dinge, die dir
zu denken geben. Ihr habt euch gemeinsam schon um so viele kranke Kinder
gekümmert, doch tief im Innersten weiß du, dass er seine medizinischen Erfolge
für sein Ego braucht.«
Francescas dunkle
Augen blitzten. »Vielleicht brauche ich sie ja auch.« Gabriel war der Wahrheit
gefährlich nahe gekommen. Francesca ärgerte sich über sich selbst, nicht über
ihn. Sie wollte an Brice festhalten, weil er niemals in der Lage wäre, sie so
sehr zu verletzen, wie Gabriel sie verletzt hatte. Ihr Gefährte hatte ihr das
Herz aus dem Leib gerissen. Seine Stimme, so ruhig und aufrichtig, ließ sie
innerlich vor Scham erbeben. Sie war eine starke Frau, kein Kind, das sich
hinter einem Sterblichen verstecken musste. Doch genau das tat sie, statt sich
ihrem Gefährten zu stellen.
»Nein, du tust es,
weil du eine Heilerin bist, gesegnet mit einer einzigartigen Gabe. Du würdest
Skyler niemals bei fremden Leuten leben lassen, nachdem du weißt, was sie
durchgemacht hat. Es würde dir nicht einmal in den Sinn kommen. Wenn du dich
nicht selbst um sie kümmern könntest, würdest du immer über sie wachen. So bist
du, Francesca. Der Doktor dagegen würde sie einfach vergessen.«
»Du bist ihm
gegenüber nicht fair, Gabriel. Schließlich hat er nicht Skylers Erinnerungen
geteilt. Er kann nicht wissen, was sie erleiden musste.« Unwillkürlich
verteidigte Francesca Brice.
»Er hat sie genau
untersucht«, wandte Gabriel ein. »Er sah, dass sie sich vor der Welt
zurückgezogen hatte. Diese Reaktion wird
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